In der Wüste gestrandet
Zehntausende syrische Flüchtlinge warten in Rukban auf Hilfe
Tagelang haben Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Vertreter der Vereinten Nationen und Diplomaten in Kairo zusammengesessen und um Lösungen gerungen. »Die Hoffnung war, dass sich Jordanien vielleicht jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit auf Zugeständnisse einlässt«, sagt ein US-Diplomat. Nachdem Ende Juni bei einem Bombenanschlag auf einen jordanischen Posten an der Grenze zu Syrien sechs Soldaten getötet worden waren, hatte Amman die Grenze zu seinem nördlichen Nachbarn für Flüchtlinge geschlossen. Zuvor hatten sie sich strengen Kontrollen unterziehen müssen - maximal 100 Personen pro Tag durften einreisen. Was dazu führte, dass sich im Laufe der Monate immer mehr Menschen in Rukban, einer sehr entlegenen Wüstenregion in der Nähe zu Irak niederließen. Mittlerweile harren dort mindestens 75 000 Menschen aus.
Anfang August schloss Jordanien die Grenze dann auch für Hilfslieferungen. Um in letzter Minute noch so viele Güter wie möglich nach Rukban zu bringen, wurden innerhalb von drei Tagen 650 Tonnen Nahrung und Material per Baukran über die Grenze gehievt. Ob die Hilfe bei den Empfängern angekommen ist, kann allerdings niemand sagen: Man ist vor Ort auf die Selbsthilfe der Flüchtenden angewiesen.
Die jordanische Regierung wirbt derweil um Verständnis für die eigene Situation: »Es tut uns in der Seele weh«, sagt Informationsminister Madschd Schweikeh, »aber wir müssen zuerst an die Sicherheit unserer eigenen Bevölkerung denken.« Man müsse verhindern, dass die Terrororganisation Islamischer Staat den Flüchtlingsstrom dazu nutzt, um eine Präsenz in Jordanien aufzubauen. Nur - dass die Menschen mitten in der Wüste gelandet sind, liegt daran, dass Jordanien die zentralen Übergänge weiter westlich schon vor langer Zeit für Syrer geschlossen hat. Die einzige Chance auf einen Grenzübertritt blieb Rukban, bis das jordanische Militär alles mit Stacheldraht abriegelte.
Rund 700 000 Geflüchtete hat Jordanien bislang offiziell aufgenommen, hinzu kommt eine unbekannte Zahl unregistrierter Syrer. »Die soziale Lage bei uns ist mittlerweile sehr angespannt«, sagt Abdullah Ensur, der bis Anfang Juni Regierungschef war. Vom Geld, das eine internationale Geberkonferenz im Februar ausgelobt hat, sei in Jordanien bislang nur ein Drittel angekommen. »Die internationale Gemeinschaft fordert sehr viel von Ländern wie unserem, tut aber selbst nur sehr wenig, um dabei zu helfen.« Im Frühjahr hatte seine Regierung angeboten, die Menschen aus Rukban in aufnahmewillige Länder auszufliegen. Gemeldet hat sich niemand.
Sein Nachfolger Hani Mulki betont, er werde nicht nachgeben. Am 20. September wird in Jordanien ein neues Parlament gewählt, und das erstmals nach einem überarbeiteten System, das vor allem dem palästinensischen Bevölkerungsanteil mehr Gewicht verschaffen soll. Gleichzeitig wird das Parlament künftig ein größeres Mitspracherecht haben. Jordanien erlebt also den ersten echten Wahlkampf seiner Geschichte. Und Syrien ist dabei das Hauptthema.
Die Hilfsorganisationen suchen derweil weiter nach Lösungen für die Menschen in Rukban. »Die Leute können dort nicht bleiben«, sagt Jason Cone von Ärzte ohne Grenzen, »sie können aber auch nicht zurück.« Denn Richtung Westen liegt unwegsames Gelände, erhebliche Teile der beiden möglichen Straßen ins Landesinnere werden vom Islamischen Staat kontrolliert. Der Weg führt durch mehrere Kampfgebiete - Hunderte Kilometer, die für Hilfsorganisationen überhaupt nicht erreichbar sind.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.