Kampf um Aleppos Korridore
In der Stadt wollen Rebellengruppen eine Schneise in die Regierungstruppen schlagen
Fällt Aleppo, die zweitgrößte Stadt Syriens, in die Hände der Regierungstruppen, dürfte das eine Vorentscheidung im Bürgerkrieg darstellen. Das wissen sowohl die in Damaskus Herrschenden um Staatspräsident Baschar al-Assad als auch jene Milizen, die ihn seit fünf Jahren von dort vertreiben wollen.
Insofern wäre ein Triumph in Aleppo mehr als ein symbolischer Erfolg, auch wenn Assad danach noch längst nicht wieder über so viel Syrien gebieten würde wie vor dem Frühjahr 2011. Die Nordostprovinzen um Deir ez-Zor sind noch immer Bastionen des Islamischen Staates, und in einem schmalen Streifen entlang der türkischen Grenze haben sich kurdische Selbstverwaltungseinheiten etabliert. Schon vor drei Wochen erklärten die Regierungstruppen, Aleppo eingeschlossen zu haben. Insofern war früher oder später damit zu rechnen, dass - machtgeteilt war die Stadt schon seit Jahren - in jenen Vierteln, die militärisch von Oppositionellen beherrscht werden, alles knapp wird: Lebensmittel, Medikamente, auch Wasser. Es geht in Richtung Endkampf, der aber eben nicht auf freiem Gelände ausgetragen wird, sondern in bewohnten Gebieten einer Stadt. Wie viel Menschen davon größtenteils unfreiwillig betroffen sind - 300 000, 600 000 oder noch mehr -, weiß niemand.
Einst hatte Aleppo etwa 2,5 Millionen Einwohner.
Die UNO und Hilfsorganisationen hatten in der vergangenen Woche dringend an die Belagerer appelliert, eine Lösung für die eingeschlossenen Zivilisten zu finden. Die russischen Verbündeten der syrischen Armee hatten daraufhin versprochen, sogenannte Korridore zur Flucht aus dem Kessel zu öffnen. Ohne Russland scheint nur noch wenig zu gehen in diesem Krieg für Damaskus. Moskau scheint im Moment auch noch die Öffentlichkeitsarbeit für Assads Truppe übernommen zu haben. Die Agentur dpa zitierte am Montag den russischen Generalleutnant Sergej Rudskoj, der in Moskau (!) bekannt gab, dass mehr als 320 Zivilisten über humanitäre Korridore in Sicherheit gebracht worden seien. Zudem hätten sich 82 Kämpfer ergeben und erwarteten nun einen Straferlass durch die Regierung.
Angesichts des Hundertfachen an Menschen, die in den Kesseln sein müssten, ist das wenig. Damaskus/ Moskau sagen, die Milizen ließen die Menschen nicht gehen und missbrauchten sie als menschliche Schutzschilde. Sprecher der Rebellen weisen das zurück und behaupten, die Zivilisten wollten lieber sterben, als sich Assads Soldaten zu stellen.
Unbestritten ist, dass heftig gekämpft wird. »Mit russischer Unterstützung«, so Generalleutnant Rudskoj, seien in den vergangenen acht Tagen »800 Extremisten« getötet worden. Er sagte aber auch, dass eine Offensive von 5000 Bewaffneten, die den Ring um Aleppo durchbrechen wollten, zurückgeschlagen worden sei. Letzteres bestreiten die Milizionäre.
Interessant ist, was beide Seiten nicht ausdrücklich sagen, sich aber aus den Verlautbarungen ergibt. Russland rutscht immer tiefer in den Syrien-Krieg. Und wie viel Soldaten Präsident Wladimir Putin im Frühjahr auch immer abgezogen hat - es sind offenbar genug da, um eine strategische Führungsrolle in Assads Generalstab ausüben zu können.
Auf der anderen Seite ist klar: Wenn es so ist, wie die in London sitzende syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilt, dass Rebellen eine neue Nachschubroute für die Eingeschlossenen in Ost-Aleppo freikämpfen wollen, so können sie das nur mit Hilfskanälen über eine offene Grenze zur Türkei. In den »syrischen Etappen« stehen sich also letztlich Russland und die Türkei gegenüber. Man darf gespannt sein, was dazu erklärt wird, wenn am Dienstag der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan bei seinem russischen Kollegen Putin in St. Petersburg weilt.
Interessantes tut sich bei der regierungsfeindlichen Nusra-Front. Die etwa 10 000 Mitglieder starke und für Christen- und Geiselenthauptungen bekannte Miliz hat sich in »Djabha Fatah al-Scham« umbenannt, was so viel bedeutet wie Siegesfront Syriens; »Scham« ist ein arabisches Wort für Levante. Damit will man sich vom Terrornetzwerk Al Qaida losgesagt haben, wohl um einfacher als bisher an Geld und Waffen von westlichen Unterstützern zu kommen. Für den chaldäischen Bischof von Aleppo, Antoine Audo, ist die Umbenennung nichts als ein Täuschungsmanöver.
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