Für einen Aufstieg ist die Fluktuation zu groß
Seit 1980 trainiert Gerhard Mewes die Knastkicker aus dem Hochsicherheitsgefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel
Herr Mewes, ihr Heimplatz liegt innerhalb der Gefängnismauern. Wie reagieren die Spieler der gegnerischen Mannschaften auf die ungewohnte Atmosphäre?
Völlig unterschiedlich. Einige sind sehr neugierig, andere haben Schwierigkeiten, ihr Unwohlsein zu verbergen. Während des Spiels wird der außergewöhnliche Ort verdrängt oder sogar vergessen. Nach Spielschluss überwiegen die positiven Anmerkungen über das sportliche und faire Verhalten der Eintracht-Fußballspieler an Lob über Können und Spielfreude wird nicht gespart. Die vor dem Besuch vorhandenen Vorurteile finden sie im Regelfall nicht bestätigt.
In Ihrem Buch schildern Sie das große Interesse der Häftlinge, in der Ligamannschaft mitzuspielen. Wie ist das zu erklären?
Die Insassen haben bei eingeschränkter Freiheit den Drang, sich zu bewegen. Außerdem sind die Erinnerungen an das Fußballspielen bei vielen mit einem Lust- oder Glücksgefühl verbunden.
Mewes erhielt er im April den 1. Preis der Sepp-Herberger-Stiftung. Seine Erlebnisse mit dem Team schildert er auch in einem Buch: »Fair Play mit Mördern« (ISBN 978-300-518-201, Hamburg 2016, 11,90 Euro). Für »nd« sprach Volker Stahl mit dem Pensionär über sein ungewöhnliches Engagement.
Ihre Philosophie?
Disziplin, Fairplay, sich für andere einsetzen und nicht über sie herziehen, der Vereinzelung entgegenwirken. Wenn man es als Führungsperson schafft, negative Dinge aus den Köpfen der Spieler zu verbannen, dann ist wieder Platz für Neues da. Ich lasse deshalb nicht nur geordnet kicken, sondern leistungsorientiert. Mein Ziel ist es, dass die Inhaftierten begreifen, dass man nur als Teil der Gruppe Erfolg haben kann. Dieses Gefühl sollen sie aus der Haftzeit in das normale Leben mitnehmen.
Warum ist der 18-fache Kreisligameister Eintracht Fuhlsbüttel trotz der Leistungsorientierung nie aufgestiegen?
Einen theoretisch möglichen Aufstieg können wir uns aufgrund der großen Fluktuation innerhalb der Mannschaft nicht leisten. Außerdem wäre es schwer, die Spieler bei einer Niederlagenserie in höheren Spielklassen zu motivieren. Das sind schließlich Verlierer im Leben, die wenigstens beim Fußball gewinnen wollen.
Gibt es Häftlinge, die Ihnen besonders ans Herz gewachsen sind?
Nein, die vielen unterschiedlichen Charaktere und das spezifische Verhalten der Gefangenen können faszinierend, aber auch abstoßend sein. Ich bin nicht frei davon, den einen sympathisch und den anderen als eher unangenehm zu empfinden. Ich bin bemüht, jeden von ihnen so anzusprechen, dass dabei das optimale Leistungsvermögen abgerufen wird. Einige erleichtern mir meine Arbeit, mit anderen erreiche ich erst nach einigen verbalen Auseinandersetzungen den gewünschten Konsens.
Pflegen Sie Kontakt zu Ex-Häftlingen? Bleiben Sie in Verbindung mit ihren Spielern draußen?
Ich gebe auf Wunsch meine Handynummer mit auf den Weg. Es ist schon vorgekommen, dass ich um Vermittlung zu einem Verein gebeten wurde. Von mir geht aber keine Initiative aus. Das hätte eine zu große Nähe erfordert, die ich stets vermieden habe. Ich bin mit einer Balance zwischen Nähe und Distanz gut gefahren. Meine Neugierde ist mehr auf das Leistungsvermögen fokussiert und weniger auf Herkunft oder prägende traumatische Kindheitserlebnisse. Allenfalls mache ich mir prognostische Gedanken, weil ich nicht jedem zur Entlassung anstehenden Häftling zutraue, einen neuen Weg einzuschlagen.
Mit dem liberalen Vollzug, der in Hamburg scheiterte, verbindet Sie eine besondere Episode ...
Während des liberalen Vollzugs konnte ich mich im Haus frei bewegen - vom unteren Flur bis unter die Dachspitze. Einmal kam ich an der offenen Zelle eines Friseurs vorbei. Der war Mitglied der Knastelf und verwickelte mich in ein Gespräch, während er mir die Haare schnitt. Der hat mir eine richtige Knastfrisur verpasst, indem er mir das Haar raspelkurz schnitt. Bei der nächsten Plauderei bin ich sicherheitshalber im Türrahmen stehengeblieben.
Was war der prägendste Eindruck in 36 Jahren Santa Fu?
Im Laufe der vielen Jahre haben sich Strukturen, das Personal wie auch teilweise die Mentalität der Verbrecher gewandelt. In diesem Veränderungsprozess habe ich gelernt, mich so zu verhalten, dass der Spielbetrieb in Santa Fu aufrecht erhalten bleiben kann. Starre Kritik am Vollzugssystem und Verbesserungsvorschläge hätten mir und den Gefangenen keinen Nutzen gebracht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.