Eine Million Euro fürs Bonbonwerfen
Von Tom Mustroph , Saint-Gervais Mont Blanc
Löwen, Hasen, Saurier - die Tour de France ist auch ein rollender Zoo. Das ist in erster Linie bei seinem Vorauskommando so, der Werbekarawane. 170 Fahrzeuge umfasst sie, vom auf einem Truck aufgebauten Löwen des Gelbe-Trikot-Sponsors bis hin zu dem Abschleppwagen am Ende der 12 Kilometer langen Prozession, der immer mal wieder ein liegengebliebenes Gefährt auf den Buckel nehmen muss. 600 Menschen fahren dort mit.
Neben den Fahrern sind es vor allem Animateure, die singen, tanzen und insgesamt 14 Millionen Objekte an die Zuschauer am Straßenrand verteilen. Nach den Unfällen in den vergangenen Jahren - auch auf der 3. Etappe dieser Tour wurde ein Mädchen angefahren - dürfen sie größere Objekte aber nicht mehr in die Massen werfen, sondern drücken sie den Zuschauern vom langsam fahrenden Gefährt aus in die Hand. Das führt zu drolligen Begegnungen. Voller Vorfreude nahm ein erwachsener Mann eine lange rote Rolle entgegen, nur um beim Aufrollen zu merken, dass es sich um das Fähnchen eines Wasserproduzenten handelte. Schnell wich die Enttäuschung im Gesicht aber wieder dem Jagdinstinkt, denn der nächste Wagen nahte.
Ernüchterung, wenn das dann ein Journalistenfahrzeug ist, das die Werbekarawane überholt und deren Insassen nichts verschenken, ja nichts verschenken dürfen. Denn die Plätze in der Karawane müssen sich die Firmen erkaufen. 350 000 Euro kostet ein kleiner Auftritt, bis zu eine Million ein großer. Für die Firmen macht sich das bezahlt. Der Wasserproduzent mit dem Fähnchen - die Animateure verteilen auch Wasserflaschen - wollen in der Haupttrinksaison Sommer ihren Namen in den Verbraucherhirnen fest verankern. Ein Wurstproduzent erzielt 20 Prozent seiner Jahresumsätze im Zeitraum rund um die Tour. Auch andere Teilnehmer der Karawane verzeichnen Umsatzhochs in dieser Zeit.
In den ersten Jahren der Tour war das noch nicht so organisiert. In den 1920er Jahren zogen fliegende Händler mit der Tour mit. Sie zahlten keinerlei Gebühren, bis Tourgründer Henri Desgranges auf die Idee kam, auch daraus eine Geldquelle zu machen und den Imbiss- und Souvenirverkauf rings um das Großevent zu monopolisieren. Ab 1930 gab es dann die Werbekarawane.
Weil die tanzenden Mädchen auf den Werbetrucks auch zahlreiche Zuschauer zum Tanzen animieren, könnte man argumentieren, der Konsum- und Werbewurm sei auch eine bewegungsfördernde Maßnahme. Viele Zuschauer beschränken sich aber aufs Kerngeschäft: lauernden Blicks Werbegeschenke abgreifen. Die Profis unter ihnen haben Regenschirme aufgespannt und hoffen, dass ganz viel der kleinen Objekte, die noch geworfen werden dürfen, drin landen. Nicht selten sind das dann aber die Gesundheit doch nicht fördernde Süßigkeiten.
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