Zwischen Abriss und Wohnungsbau

In berlinnahe Gemeinden wächst die Einwohnerzahl, doch die Peripherie dünnt weiter aus

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
26 Jahre nach dem Ende der DDR ist die Auszehrung der berlinfernen Regionen Brandenburgs nicht gestoppt. Im »Speckgürtel« dagegen wachsen Gemeinden - mit Auswirkungen für den Stadtumbau.

Bis zum Jahr 2030 ist in der Peripherie des Landes Brandenburg ein weiterer Bevölkerungsrückgang Regionen um 13 Prozent zu erwarten, erklärte der scheidende Abteilungsleiter Städtebau und Wohnen, Jürgen Steinberger, am Donnerstag bei einem Symposium im Gebäude der IHK Potsdam. In der gleichen Zeit werde der Speckgürtel um Berlin bei der Einwohnerzahl sieben Prozent zulegen. Aus dieser Diskrepanz würden sich »neue räumliche Spannungen« ergeben.

Um das Jahr 1997 herum seien im Bauministerium des Landes erste Gedanken gereift, dass man im großen Stil Wohnungen »in der Fläche abreißen müsse«, fuhr Steinberger fort. Das sei aber dem damaligen Bauminister Hartmut Meyer (SPD) nicht zu vermitteln gewesen, der nicht als »Abrissminister« in die brandenburgische Geschichte eingehen wollte. So habe es noch einige Jahre gedauert, bis mit dem Abriss von 58 000 Wohnungen den lokalen Wohnungsbauunternehmen eine wirtschaftliche Basis verschafft werden konnte.

In ungeahntem Ausmaß waren Menschen auf der Suche nach Arbeit und Perspektive aus den berlinfernen Regionen geflüchtet. Der Wohnungsleerstand hatte 14 Prozent betragen, mit Hilfe des Abrissprogramms hat man ihn auf neun Prozent zurückgeführt. Allerdings ist Steinberger zufolge längst noch kein Ende abzusehen, denn dem Vernehmen nach werden noch 20 000 Wohnungen dran glauben müssen, wobei sich der Abriss von den Stadträndern hin zum Zentrum vollziehen soll.

Dass Stadtumbau in Brandenburg nach 1990 in erster Linie Häuserabriss bedeutet hatte, bestätigte auch die zuständige Infrastrukturministerin Kathrin Schneider (SPD). Nach ihren Angaben ist diese Entwicklung inzwischen aber doch etwas abgeklungen - nicht zuletzt, weil »schon sehr viel weggenommen« worden sei und parallel dazu eine »positive Entwicklung der Innenstädte« ermöglicht worden sei. Zudem wirkten die Städte inzwischen als »Anker im Raum« wirken. Mit viel Geld seien die »Innenstädte aufgewertet und stabilisiert« worden, so Schneider. Nunmehr widme sich die Baupolitik stärker dem gedeihlichen Miteinander von Städten und ihrem Umland.

Noch vor einem halben Jahr hatte es geheißen, der Zustrom von Flüchtlingen stoppe den Wohnungsabriss, weil es nun wieder Bewohner gebe. Davon war bei dieser Gelegenheit keine Rede mehr.

Erstmals seit Jahrzehnten ist der Neubau von Sozialwohnungen, also von bezahlbarem Wohnraum, auch wieder Thema der Landespolitik. Das sei aber noch keineswegs Bestandteil der »To-do-Liste« aller Städte, fügte Jürgen Steinberger hinzu. Die künftige Stadtpolitik werde in den wachsenden Regionen eine Entwicklungskonzentration um die jeweiligen Haltepunkte im schienengebundenen Öffentlichen Personennahverkehr vornehmen und auf den Neubau innerhalb der bestehenden Siedlungsstruktur orientieren, also gleichsam »verdichten«.

Brandenburgs Baupolitik wird auch weiterhin von einer extremen Zweiteilung geprägt sein. Vom Ziel der ersten Landesregierung, Entwicklung in die Fläche zu tragen - die Rede ist vom Konzept der »dezentralen Konzentration« - ist die Landesregierung weitgehend abgerückt, derzeit wird die Umkränzung des Ballungsgebietes Berlin gesteuert. Auf diesen rund zehn Prozent der Landesfläche leben heute schon 37 Prozent aller Einwohner Brandenburgs.

Gefördert wird die »Anker«-Rolle der märkischen Landstädte unter anderem durch das Bezuschussen von Stadt-Umland-Kooperationen. Aus einem entsprechenden Wettbewerb waren in einer ersten Stufe Finsterwalde, Neuruppin sowie die Ost- und Westprignitz hervorgegangen. Insgesamt bis zu 53 Millionen Euro Fördermittel der EU stehen diesen vier Projekten zu Verfügung, um die Beziehungen kleinerer Städte in den berlinfernen Regionen mit ihrem Umland fester und für die Bürger ersprießlicher zu gestalten. Laut Ministerin Schneider sind insgesamt 160 Millionen Euro »in diesem Topf«.

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