Selbstverzwergung des Parlaments
Wenn der Ball rollt, ist Terror angesagt - zu Wochenbeginn kam es zum Eklat im Innenausschuss des Bundestages
Im Schnellverfahren will die Große Koalition ihr neues Anti-Terror-Gesetz durchs Parlament bringen. Am Donnerstag vergangener Woche war die Erste Lesung des Entwurfes, am Montag wurden Sachverständige gehört, am Mittwoch befasst sich der Innenausschuss mit der Vorlage, am Donnerstag wird abgestimmt.
Höchst verärgert verließen die Vertreter der Links- und der Grünen-Fraktion am Montag die öffentliche Anhörung im Bundestagsinnenausschuss. Man wolle sich, wie einer der Ausziehenden bemerkte, »nicht zum Affen machen lassen«. Was war geschehen? Die Koalition hatte als Sachverständige die Chefs der Sicherheitsbehörden, also den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, den Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sowie Dieter Romann, der die Bundespolizei kommandiert, benannt und bestellt.
Keine Frage, dass die drei Herren Experten in Sachen Terror und Terrorbekämpfung sind. Doch gewöhnlich lädt man zu solchen Anhörungen unabhängige Gutachter ein. Schon weil die Geschäftsordnung des Bundestages das so bestimmt. Bundesbedienstete dürfen demnach als Sachverständige oder Auskunftspersonen zu einer Anhörung nur in »berechtigten Ausnahmefällen« eingeladen werden. Die Ignoranz der Ausschussmehrheit von Union und SPD verärgerte die Opposition. Die drei Herren, so sagt Frank Tempel von den LINKEN, seien dem Bundesinnenministerium »weisungsunterstellt«, das den Gesetzentwurf gefertigt hat. Alle drei Behörden waren daran beteiligt und sind Nutznießer des geplanten Kompetenzzuwachses.
Vertreter der Koalition verteidigten die Ladung der drei Behördengutachter und den engen Zeitplan für die Behandlung des von ihnen eingebrachten Gesetzentwurfes »zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus«. Angesichts der Gefahren sei Eile geboten. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen dem Bundesamt für Verfassungsschutz spezielle Befugnisse zur Einrichtung gemeinsamer Dateien »mit wichtigen ausländischen Partnerdiensten, insbesondere der Nachbarstaaten und anderer EU- beziehungsweise NATO-Mitgliedsstaaten« eingeräumt werden. Die Bundespolizei soll - wie »nahezu alle Polizeien der Länder und das Bundeskriminalamt« - die Befugnis erhalten, verdeckte Ermittler zur Gefahrenabwehr und nicht erst zur Strafverfolgung einzusetzen. Außerdem will man Telekommunikationsanbieter verpflichten, die Identitätsangaben von Prepaid-Kunden anhand von Personalpapieren zu überprüfen. Das ist zwar bereits im Gesetz so geregelt, doch wird das offenbar wenig beachtet.
Es mag ja sein, dass sich die Terrorgefahren verstärkt haben, sagt der Linksabgeordnete Frank Tempel. Er glaubt, dass die Koalition die Fußball-Europameisterschaft und das damit verbundene Aufmerksamkeitsdefizit der Öffentlichkeit nutzen will, »um mal rasch Tatsachen zu schaffen«. Das wäre keine Premiere. Bereits vor zwei Jahren - damals lief die Fußball-WM - wandte die Regierung diese List an, um das Meldegesetz fast geräuschlos durchzustimmen. Warum sonst diese Eile? Immerhin, so betont Tempel, »handelt es sich um gravierende Grundrechtseingriffe«.
Nicht eine der vorgeschlagenen Maßnahmen wirkt unmittelbar. Um beispielsweise einen verdeckten Ermittler in terroristische Strukturen einzuschleusen, seien Vorbereitungen nötig, die in der Regel Monate dauern, weiß der gelernte Polizist. Frage man nach den Ermittlungsfeldern, so würden von den Gesetzesbefürwortern zumeist Fälle der Organisierten Kriminalität genannt. Offenbar versucht man, so der Verdacht der Opposition, unter dem Mantel der Terrorabwehr manches durchzuschmuggeln, was man schon lange mal durchsetzen wollte.
Man habe »kein Verständnis für das Vorgehen der Großen Koalition«, bestätigen die Grünen Konstantin von Notz und Irene Mihalic. Gerade weil es verfassungsrechtlich heikle Fragen zu klären gibt. Womöglich werde man deshalb vor das Bundesverfassungsgericht ziehen müssen. Das rührte die Kollegen aus den Regierungsparteien nicht. Sie zogen die Anhörung wie geplant durch. Weshalb sich von Notz - auch angesichts anderer Missachtungsfälle - um die Zukunft des Parlamentarismus Sorgen macht und warnt: »Die Abgeordneten der Großen Koalition arbeiten intensiv an der Selbstverzwergung des Deutschen Bundestages.« Kommentar Seite 4
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