Die Suche nach dem »Podemos«-Moment

Kommt da was ins Rutschen? Und was hieße das für die gesellschaftliche Linke? Tom Strohschneider über Signale der SPD, die Reflexartigkeit alter Antworten und eine alte Idee

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist nicht lange her, da waren überall Abgesänge auf Rot-Rot-Grün zu lesen. Es gab dafür Anlass und Hintergrund - der Anlass: die Umfragezahlen sprachen und sprechen nun wahrlich nicht dafür, dass in absehbarer Zeit SPD, Linke und Grüne eine parlamentarische Mehrheit haben. Der Hintergrund: Abgesehen von den Bündnisbemühungen bestimmter Kreise in den jeweiligen Parteien hinterließ kaum jemand den Eindruck, dass alsbald eine politisch auch wirksame Annäherung ansteht. Heißt: Dass über bloße gegenseitige Aufforderungen, allgemeine Appelle und dergleichen etwas in der Substanz sich ändern könnte.

Das ist bisher auch nicht passiert. Noch nicht. Aber es gibt neue Anlässe und Hintergründe, über Rot-Rot-Grün nachzudenken. SPD-Chef Gabriel will ein Bündnis der progressiven Kräfte gegen den Rechtsruck. Grünen-Fraktionschef Hofreiter drängt die Sozialdemokraten, endlich mit der Linkspartei zu reden. Politiker der Linken sehen über Signale und drängen auf eine rot-rot-grüne Bewerbung um die Nachfolge von Bundespräsident Gauck. Die Grünen-Vorsitzende Peter sagt, ihre Partei sei die am weitesten links stehende hierzulande. Der SPD-Außenminister findet deutliche Worte gegen das »Säbelrasseln« der NATO. Was passiert da gerade?

Der medial-politische Betrieb verstärkt die einfachen alten Antworten: Alles nur »Linksblinkerei« der SPD! Schaut Euch doch die Realpolitik von SPD und Grünen an! Die Linkspartei ist gar nicht regierungsfähig! Der Wahlkampf hat halt schon etwas früher begonnen! Und so fort. Das ist alles nicht falsch, weil es aber immer nur (und bisweilen sehr reflexhaft) einen Teil des Ganzen beschreibt, wird daraus keine befriedigende Beschreibung der aktuellen Lage. Diese kann nicht mehr allein durch die Brille der alten rot-rot-grünen Parallelwelt betrachtet werden. Es könnte ja sein, dass die Dinge wirklich ins Rutschen kommen. Dann bräuchte man neue Antworten.

Und es müsste endlich mehr passieren als die gegenseitigen Aufforderungen, zu irgendwas bereit zu sein. Es müsste von den »klaren Signalen« zu den Klärungen vorgedrungen werden, die dann mehr sein könnten als nur Botschaften eines Parteienbetriebs. Eine »progressive Mehrheit« kann nur dann erfolgreich (von Parteien) abgebildet werden, wenn es auch ein gesellschaftliches Bedürfnis danach gibt, eine Stimmung des Wechsels, einen mehrheitlichen Wunsch danach, ein »Lager der Solidarität« zu bilden und sich darin - bei aller Unterschiede und Differenzen - dem anstrengenden Unterfangen zu widmen, die dazu nötigen politischen Kompromisse zu schließen. Welche das sind, ist von vielem abhängig, nicht zuletzt vom öffentlichen Druck, von der Bewegung der Vielen, von den Gewerkschaften (was machen die eigentlich?) und anderem.

Was wäre, wenn sich nun örtliche Wohlfahrtsausschüsse gründen würden, die diese Debatte darüber, was so eine »progressive Mehrheit« in dem überschaubaren zeitlichen Rahmen einer Legislatur erreichen kann und soll? Die Idee ist nicht neu, in den 1990er Jahren waren das linksradikale Orte der Verständigung über die bekannten »politischen Eingerichtetheiten« hinaus. Der gesellschaftliche Schwingboden, auf dem sie etabliert worden, war nciht so unähnlich: Es gab einen Rechtsruck, eine Krise der etablierten politischen Modelle, eine der Repräsentation.

Was wäre, wenn in einer Situation wie der aktuellen, in der das parteipolitische Lager zwar einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust zu verzeichnen hat, es aber - anders als etwa in Spanien - keine größere soziale Bewegung gibt, so ein »Podemos«-Moment nachholend und über den Umweg dieser »Wohlfahrtsausschüsse« aktiviert würde? Mitervereine, Migrantennetzwerke, Künstler und Intellektuelle, Nachbarn und Lokalpolitiker, Genossenschaftsmitglieder und Antifa-Leute, Gewerkschafter, Ökos, Linke, Sozialdemokraten. Alle zusammen. Wie würden die Parteien damit umgehen, dass man ihnen die alleinige Hoheit über das politische Programm einer solchen »progressiven Mehrheit« engagiert und selbstbewusst, ohne die parteipolitischen Raster zu reproduzieren bestreitet? Oder so formuliert: Was wäre das bundesrepublikanische »Wir können«, wie würde das aussehen?

Es gibt jetzt keinen Grund für euphorische Naivität; keinen Grund, die Kritik an den Bilanzen der parteipolitischen Beteiligten einzustellen; keinen Grund zu glauben, dass linke Veränderung schon deshalb einfacher zu erreichen wäre, weil ein SPD-Vorsitzender etwas anders redet als vor drei Monaten. Aber damals, vor drei Monaten, haben alle, die an Veränderung interessiert sind, denselben SPD-Vorsitzenden aufgefordert, endlich anders zu reden. Oder? Nun geschieht es - und klar, bis zum »Handeln« ist der Weg noch nicht viel kürzer geworden. Aber können wir es uns leisten, eine mögliche Abkürzung von der Hauptstraße des »There is No Alternative« auszulassen?

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