Wenn Choreos und Support nicht genug sind
Die Hooliganszene in Deutschland erlebt neuen Zulauf, beklagen Fanprojekt-Mitarbeiter und Polizisten. Von Christoph Ruf
In diesem Jahrtausend gab es wohl kaum mal ein paar Tage, in denen das Verhalten von Fans nicht für dicke Negativ-Schlagzeilen gesorgt hätte. Allerdings ging es dabei meist um bengalische Fackeln. Erst seit vergangenem Wochenende und den schwer zu verdauenden Bildern von Marseille scheint auch in Deutschland angekommen zu sein, dass es so etwas wie Hooligans tatsächlich noch gibt.
André Schulz weiß das hingegen schon lange. Der Bundesvorsitzende des »Bundes deutscher Kriminalbeamter« verweist auf die Aktivitäten der Gruppierung »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa), die vor mehr als eineinhalb Jahren eine Großdemonstration in Köln veranstaltet und die Anti-Islam-Agenda von AfD, Pegida und Co. vorweggenommen hatte: »Uns liegen seit Jahren Erkenntnisse vor, dass viele aus dieser Szene gesellschaftlichen Rückenwind spüren und wieder aktiver werden. HoGeSa war da schon ein Symptom dafür.« Dass deutsche Hooligans, wie in Lille am Rande des Spiels gegen die Ukraine, aber auch bei Länderspielen in Tiflis und Warschau (2014 und 2015) geschehen, wieder verstärkt ins Ausland reisen, habe ebenfalls mit dem Aufleben des »deutschen Hooliganismus« zu tun. Auch dass in Lille ach zahlreiche Jüngere in der Innenstadt auszumachen waren, ist kein Zufall. War »HoGeSa« noch primär die Veranstaltung in die Jahre gekommener Alt-Schläger, ist die Szene in den vergangenen Jahren wieder attraktiver für jüngere Fußballfans geworden.
Hinter vorgehaltener Hand berichten Fanprojekt-Mitarbeiter an vielen Standorten, dass sich am Rande der Ultragruppen zusehends kleinere Gruppen abspalten, denen der Ultra-Alltag nicht genug Thrill liefert und denen es nicht mehr genügt, sich mit dem Support der Mannschaft und der Selbstdarstellung der eigenen Szene zu befassen. Statt im Gruppenraum beim Malen von Choreographien verbringen sie die Zeit lieber in den Mixed-Martial-Arts-Studios, um in Kampfform zu kommen. So praktizierte es etwa die rechte Dortmunder Schlägergruppe, die in der Szene meist »0231H« genannt wird, eine Kombination aus der Dortmunder Telefon-Vorwahl und dem »H« für »Hools«, die durch brutale Gewalttaten, die Einschüchterung antirassistisch orientierter Fans und schwere Straftaten auffiel. Zumindest die Attacken auf linke Ultras sind keine Dortmunder Besonderheit. Auch in vielen anderen Szenen stehen eher linke Ultragruppen einem Block aus rechten Ultras und Hooligans gegenüber. In dieser Mischszene reduzieren sich die Grenzen zwischen »Ultras« und »Hooligan« zunehmend auf Äußerlichkeiten.
Robert Claus warnte bereits nach dem Überfall belgischer Hooligans auf eine Trauerfeier für die IS-Opfer in Brüssel davor, dass sich die Hooliganszene in ihrer Gewaltfaszination zunehmend erschreckende Vorbilder nehme. »Viele extrem rechte Hooligangruppen gucken mit einem fast schon neidischen Blick auf die Szenen in Osteuropa, vor allem in Russland«, sagt der Fanforscher von der Kofas in Hannover. »Die dortige Szene gilt als sehr hart.« Es wäre schlimm, wenn die Bilder von Marseille ihren Heldenstatus untermauert hätten.
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