Pate für Polen gesucht

Nicht alle NATO-Staaten mögen die »Vorgelagerte Präsenz« nahe der russischen Grenze

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die NATO-Verteidigungsminister trafen sich am Dienstag in Brüssel. Sie wollten letzte Unstimmigkeiten vor dem Bündnisgipfel in Warschau ausräumen.

In Russland ist »Alarmmachen« ganz einfach. Es gibt nur eine Armee, nur ein Oberkommando, man kommuniziert in nur einer Sprache, alle Truppen haben nur eine Ausbildung durchlaufen. Also reagiert man landesweit sofort und abgestimmt, wenn Verteidigungsminister Sergei Schoigu, ein Armeegeneral, seine Untergebenen mit dem Ruf »Gefechtsbereitschaft herstellen!« weckt.

Ganz so einfach ist das bei der NATO nicht. Das Problem mit der Sprache ist nicht gar so groß. Alle sprechen englisch - formal gesehen. Doch verstehen nicht alle 28 Staaten inhaltlich dasselbe. Gerade wenn es um die »Vorgelagerte Präsenz« im Osten des Bündnisgebietes geht. Die Italiener und die Portugiesen beispielsweise drücken in punkto äußere Sicherheit ganz andere Sorgen. Sie sind jenseits des Mittelmeeres beheimatet. Frankreichs Militär sieht sich in Afrika und im eigenen Land gefordert. Da muss Paris - bevor sich die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten in knapp vier Wochen in Warschau treffen - noch einiges festzurren.

Seit geraumer Zeit ist klar, dass die NATO - auf Wunsch der Gaststaaten - vier sogenannte robuste multinationale Bataillone in den baltischen Staaten und in Polen stationieren wird. Sie werden von einer Nation geführt und sind je um die 1000 Mann stark. Drei dieser »Paten« haben vor Wochen schon zugesagt: die USA, Großbritannien und Deutschland. Sie richten sich mit mehr oder weniger rotierenden Einheiten in den baltischen Staaten ein.

Kein Pate fand sich für Polen. Und das ist erklärlich angesichts der Anti-Russland-Stoßtruppfunktion, in die sich die PiS-Regierung in Warschau, unterstützt von den USA, in den letzten Monaten begeben hat. Das betrifft nicht nur das eigentlich routinemäßig auf kleinerer Flamme laufende »Anakonda«-Manöver, das zu einem recht gewaltigen Truppenaufmarsch wurde und in das die Polen mit der Forderung nach Solidarität alle Verbündeten hinein genötigt haben. Provokativ - nicht nur gegenüber Russland - lud man dazu auch noch die Ukraine sowie Georgien ein. Auch die Art und Weise der politischen Truppenführung erregt Argwohn bei Bündnispartnern. So wie die Regierung das Verfassungsgericht und die Medien in den Würgegriff zu nehmen versucht, so durchkämmte man auch die Streitkräfte. Wehe, wer ein nicht genehmes, weil sowjetisches Akademieabzeichen am Rock trug.

Eine Weile hieß es, die USA würden zwei Bataillone in Richtung russische Grenze schicken. Doch das zerschlug sich, die US-Army operiert lieber auf eigene Rechnung. Seit einigen Wochen nun versucht Washington Kanada zu überzeugen, sein Übungskontingent in Polen von 220 Soldaten mindestens zu verdoppeln. Ottawa hatte damit zumindest bis zum Wochenende keine Eile. Wohl auch, weil nicht ganz so klar ist, wie man es in Brüssel mit der NATO-Russland-Grundakte halten will. Diese 1997 geschlossene Vereinbarung sieht vor, dass an der Ostgrenze der NATO keine nennenswerten Einheiten dauerhaft stationiert werden.

Die NATO glaubt, dass man mit der beabsichtigten Rotation multinationaler Einheiten jeweils in Bataillonsstärke nicht gegen den Geist der Absprache verstößt. Die Bundeswehr, die ihre Beziehungen mit Litauen ausbauen und deshalb ihre Kampfeinheiten dort stationieren wird, will die Soldaten alle vier bis sechs Monate austauschen. Mit allem Material. Das ist eine logistische Herausforderung und zugleich eine Übung, wie man im Spannungsfall nachlegen kann. Dafür gibt es die sogenannte NATO-Eingreiftruppe, die ihre Stärke seit dem NATO-Gipfel in Wales vor zwei Jahren auf rund 40 000 Mann fast verdreifacht. Ihr voraus würde eine ganz schnelle Speerspitze - Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) - zum Einsatz kommen. Innerhalb von sieben Tagen wäre so eine Brigade mit allem militärischen Gerät in jedem beliebigen NATO-Land einsatzfähig.

Die Truppen werden von den Bündnisstaaten gleichfalls auf Rotationsbasis zur Verfügung gestellt. Deutschland hat bereits eine solche Truppe geführt und mit ihr in Polen geübt. 2019 wird die Bundeswehr erneut die führende Rolle in der VJTF übernehmen. Damit alles bereit ist, wenn die Truppe vorrückt, hat man Vorauskommandos, Force Integration Units (NFIU) genannt, in acht osteuropäischen Ländern installiert.

Das alles wird nicht nur politisch teuer. Neben erweiterten Kosten für die NATO selbst sind die Mitglieder nun vehement aufgefordert, innerhalb von zehn Jahren die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftskraft zu steigern. Für Deutschland würde das fast eine Verdopplung der Militärausgaben bedeuten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -