Der Weg, auf dem die Kohle nach Berlin kam

Über den vor 125 Jahren eröffneten Oder-Spree-Kanal werden pro Jahr eine Million Tonnen Güter transportiert

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.
Der erste Wasserweg zwischen Oder und Spree war 1668 fertig. Doch genügte der Friedrich-Wilhelm-Kanal den Anforderungen bald nicht mehr. An seiner statt wurde 1891 der Oder-Spree-Kanal eingeweiht.

Über insgesamt 85 Kilometer - zwischen der Oder im Eisenhüttenstädter Ortsteil Fürstenberg und dem Seddinsee bei Berlin-Schmöckwitz - erstreckt sich der Oder-Spree-Kanal. Er gliedert sich in zwei Teilabschnitte, die durch die ausgebaute Fürstenwalder Spree verbunden sind, und überwindet in seinem Verlauf einen Höhenunterschied von rund 14 Metern. Rund eine Million Tonnen Güter werden heute noch immer jährlich per Schiff in beide Richtungen bewegt. Manche Schleuse verkraftet das nur noch schwer - längst bräuchte der Kanal ein technisches Update.

Dabei befindet sich dieser künstliche Wasserweg mit seinen inzwischen 125 Jahren - im Bundesdurchschnitt betrachtet - im besten Alter. Es war die Zeit der großen Industrialisierung. Zwischen 1863 und 1917 wurden in Deutschland 27 große Projekte des Verkehrswasserbaues durchgeführt.

Der Oder-Spree-Kanal wurde am 1. Mai 1891 bei laufendem Betrieb eingeweiht, denn er wurde dringend benötigt für die Versorgung der Fabriken und Werkstätten Berlins mit Steinkohle aus den Oberschlesischen Steinkohlegruben. Der zu dieser Zeit mehr als 200 Jahre alte Friedrich-Wilhelm-Kanal war längst an seine Kapazitätsgrenzen gestoßen und völlig überlastet. Der Kanalbau - in weiten Teilen unter Nutzung der alten Trasse - war faktisch ein Neubau.

1887, ein Jahr nach dem Beschluss der preußischen Regierung, hatten die Arbeiten begonnen. Auf 12,6 Millionen Reichsmark beliefen sich die Kosten - sieben Schleusen, ein Wehr, 23 Brücken (samt der Schleusenbrücken), acht Dücker, neun Schleusenmeister- und Buhnenmeistergehöfte sowie das Gebäude des Bauhofes in Fürstenwalde.

Fertig war der Kanal eigentlich nie. Sechs Jahre nach der Einweihung waren erstmals wieder Arbeiten im Gang. Der Kanal wurde verbreitert, um ihn dem rasant wachsenden Güterverkehr anzupassen, und die Schleusen ausgebaut, um sie für größere Schiffe passierbar zu machen. 1912 wurden, nach Angaben des Wasserstraßenamtes Berlin (WSA), 4,4 Millionen Gütertonnen registriert, oft stauten sich an den Schleusen die Schleppzüge. Seine größte Bedeutung hatte der Oder-Spree-Kanal in der Zeit zwischen den Weltkriegen, als sich Berlin nach den kargen Inflationsjahren zur Weltmetropole entwickelte.

Bei Kriegsende 1945 war die Wasserstraße unpassierbar - von 33 Brücken war nur eine nicht gesprengt oder zerschossen worden, 188 versenkte Schiffe und Boote versperrten die Passage. Doch schon 1946 lief der Verkehr wieder an, waren Kähne mit Kohle, Baumaterial und Lebensmitteln unterwegs, brachten Trümmerschutt aus den Städten - und später, ab den 1950ern, Erz für die Hochöfen in Eisenhüttenstadt. Bis 1990 war die Bedeutung des Oder-Spree-Kanals für die DDR-Wirtschaft ungebrochen, passierten ihn jährlich im Schnitt 2,3 Millionen Tonnen Güter.

Dass es heute am Kanal deutlich ruhiger zugeht, ist nicht nur eine Folge des Zusammenbruchs der DDR-Industrie nach 1990. Auch die Abwanderung des Gütertransports von Wasser und Schiene auf die Straße hat den Transportraumbedarf im Schiffsverkehr schrumpfen lassen. Die entstandenen Freiräume haben sich längst Sportbootfahrer und Angler erobert. Das recht warme Wasser ist überraschend fischreich - Aale, Welse und Hechte, aber auch Zander, Barsche, Schleie und Karpfen.

Das Kanaljubiläum wird in der Tourismusregion »Seenland Oder-Spree« ganzjährig gefeiert. Informieren können sich Interessierten in den Besucherzentren der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - Schleuse Kersdorf sowie Zwillingsschachtschleuse Eisenhüttenstadt (ehemals Fürstenberg a.d. Oder). Das Heimatmuseum Müllrose berichtet über die Geschichte des Kanals. Und während der gesamten Saison sind in Groß Lindow Fahrten mit dem Fahrgastschiff »Treidelkahn« buchbar. Zahlreiche Gemeinden laden zu Festen ein - als nächste am 1. und 2. Juli Berkenbrück mit einem Strandfest.

WSA Berlin, Tel. 03361/7732-0, Tourismusverein Oder-Region Eisenhüttenstadt, Tel. 03364/413690

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