Von Andrea zu Frauke

Seitdem sie Sozialministerin ist, geht es uns gut. Nicht weil es etwa so ist, sondern weil sie es so verfügt hat. Sie hat jene Armut weggeschnippst, von der sie vorher behauptete, sie würde von den Schröderianern kleingeredet.

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Keine fünfzehn Jahre ist es her, da war Andrea Nahles noch arg gegen die Agenda 2010 und damit auch gegen Hartz IV. Sie hatte etwas gegen die »soziale Unwucht«, die das Reformpaket für den Arbeitsmarkt und das Sozialwesen beinhaltete. Gemeinsam mit Ottmar Schreiner mahnte sie, den sozialdemokratischen Weg nicht zu verlassen. Der alte Gewerkschafter verlieh der jungen Frau, von der man behauptete, sie gehöre dem linken Flügel ihrer Partei an, eine gewisse Reputation. Nach den ersten schweren Verlusten der Sozialdemokraten bei Landtagswahlen war es unter anderem Nahles, die die Niederlagen als Konsequenz der verlorenen Parteiseele ansah. Seinerzeit habe ich die Frau erstmals wahrgenommen. Von ihren Widerstand gegen den Schröder-Kurs zehrte sie noch einige Jahre. Als sie schon nicht mehr so unversöhnlich tat, weil sie von Müntefering mit in die Agenda geholt wurde, schrieben die Zeitungen noch immer von einer Parteilinken, die vielleicht einst der Partei ihre traditionellen Vorstellungen zurückgeben könnte. Lafontaine soll sie gar mal als »Gottesgeschenk für die Partei« bezeichnet haben. Das war zwar lange vor der Agenda 2010 und somit in einem anderen Zusammenhang gemeint, kann aber dennoch als Indikator gelten.

Bekanntlich kam es geringfügig anders. Gegen Armut hat die Frau, die die Agenda ablehnte, aber tatsächlich etwas gemacht. Sie hat sie abgeschafft. Fast restlos, könnte man sagen. Die Armut, die sie vor vielen Jahren wegen Hartz IV am Horizont erblickte, redet sie jetzt einfach weg. Armut sei nämlich Definitionssache. Es gehe uns gut, ließ sie sich vor einigen Wochen zitieren. Bereits letztes Jahr lobte sie die Reformen aus Schröders Ära ziemlich deutlich, eine so arrogante Analyse der allgemeinen Befindlichkeit jedoch, unterblieb da noch. Jetzt hat es uns gut zu gehen. Armutsbekämpfung per Harmoniesucht. Kurz vor ihrer Ernennung zur Ministerin glaubte sie noch, dass es durchaus Nachbesserungsbedarf gäbe. Nicht alles sei falsch, aber vieles eben auch nicht richtig gewesen. Der Werdegang zeichnet sich ab. Von sozialdemokratischer Kritik am Neoliberalismus hin zum Postschröderianismus, zur Sachwalterin eines Erbes, dessen Aussaat sie noch vereiteln wollte.

Man durfte sich selbstverständlich nicht einbilden, dass eine Bundessozialministerin namens Nahles den Hartz-IV-Komplex abtragen würde. Das wäre vermessen gewesen. Aber Stück für Stück etwas mehr Fairness, so stellte man sich in einem kühnen Augenblick vor, könnte diese Frau vielleicht mit ein wenig Verve doch bewirken. Heute debattieren wir allerdings über Sanktionsverschärfungen, über Kürzungen bei alleinerziehenden Elternteilen und darüber, ob man ausländischen Bezugsberechtigten nicht vielleicht temporär die Sozialhilfe verweigern sollte. Letzteres auch gerne gegen europäisches Recht und wider der Freizügigkeit von EU-Bürgern in der gesamten europäischen Zone. Als Ministerin sitzt sie in Morgenmagazinen und Talkrunden und verklausuliert eine Not, die sie vor fünfzehn Jahren noch lauthals ablehnte und sie schafft weitere Baustellen und Probleme, produziert also abermals Strukturen, die zur Verschlimmerung der Lebensumstände vieler betroffener Menschen führen.

Dieser Werdegang ist exemplarisch für dieses Zeitalter, da die Sozialdemokratie wie wir sie kannten, abgewirtschaftet hat. Diese Vita personalisiert, was die Gesamtpartei als Organ ereilt hat. Beides bedingt einander. Das sind die Werdegänge, die der aktuellen Entwicklung eine Grundlage verliehen. Viten voller Karrierismus und Opportunismus besiegelten die Entsozialdemokratisierung, nahmen den Arbeitern und Angestellten, die dringend eine politische Vertretung brauchten, eine wählbare Alternative und so mündet schließlich alles in dieser falschen Alternative, die derzeit den Takt der politischen Situation im Lande vorgibt. Es lässt sich hier leicht eine Linie ziehen: Weil es solche wie Andrea gibt, laufen sie zur Frauke.

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