Lausige Zeiten auf Schloss Heidecksburg

Im thüringischen Rudolstadt hat ein Wissenschaftler rund 20 000 Parasiten der Ordnung Phthiraptera gesammelt

  • Andreas Hummel, Rudolstadt
  • Lesedauer: 4 Min.
Besucher in Naturkundemuseen interessieren sich meist für bunte Schmetterlinge, ausgestopfte Vögel oder Dino-Knochen. Doch es gibt dort auch kuriose Sammlungen - etwa im thüringischen Rudolstadt.

Wenn Eberhard Mey von Reisen heimkommt, hat er oft Tierchen im Gepäck, die bei anderen Menschen schon beim Gedanken daran Juckreiz auslösen. In einem Schrank hat sie der Kustos des Naturhistorischen Museums Rudolstadt in Thüringen akribisch auf Sperrholz-Platten sortiert: Läuse - bei Tieren auch Feder- oder Haarlinge genannt. Während sich ein Heer von Naturforschern mit farbenprächtigen Schmetterlingen, Käfern oder der Welt der Vögel befasst, hält sich das Interesse für die nur wenige Millimeter großen Parasiten in Grenzen. Doch für Mey sind sie zum Lebensthema geworden.

»Die Präparate sind nicht besonders attraktiv«, räumt der 64-Jährige mit grau-weißem Vollbart entschuldigend ein. Auf dem Glasträger werden sie Kanada-Balsam eingeleg, mit bloßem Auge ist oft nur ein Punkt zu erkennen. Erst unter Lupe und Mikroskop offenbart sich ihre Gestalt.

Die Insekten haben keine Flügel, dafür aber besondere Mundwerkzeuge, mit denen sie sich von Blut, Hautschuppen oder Federn ihres Wirtes ernähren. Sie leben vor allem auf Vögeln, aber auch vielen Säugetierarten. Läuse sind Parasiten, die ohne ihren Wirt nicht lebensfähig sind. Bei Wissenschaftlern ist die Bezeichnung Mallophagen geläufig, was übersetzt so viel wie Pelzfresser heißt. Oder sie sprechen von Phthiraptera. »Sie sind überall auf der Welt zu finden - auch in Australien und der Antarktis«, erläutert Mey. Dabei habe jede Vogel- oder Säugetierart ihre ganz eigenen Haar- und Federlinge - sogar Robben, Kängurus und Pinguine. Da es auch gefiederte Dinosaurier gab, liege die Vermutung nahe, dass schon diese Urzeittiere von Federlingen gepiesackt wurden. »Es gibt Nachweise aus dem Eozän - also vor 40 Millionen Jahren.«

Auf rund 20 000 Exemplare schätzt Mey die Sammlung auf Schloss Heidecksburg. Viele hat er selbst gesammelt und weit mehr als Hundert erstmals überhaupt beschrieben. Die Sammlung im einstigen Residenzschloss habe internationale Bedeutung, konstatierte eine Kommission von Wissenschaftlern und Museumsexperten vor einigen Jahren. Und vor allem: Sie wird aktiv wissenschaftlich bearbeitet.

Denn Sammlungen von Mallophagen gibt es zwar auch in anderen deutschen Museen. Das Museum Koenig in Bonn etwa hat nach eigenen Angaben rund 20 000 Exemplare, darunter auch ein Tierchen von 1846. Doch seit mehr als 30 Jahren ruht die Sammlung. Auch im Berliner Naturkundemuseum mit mehr als 17 800 Exemplaren im Depot fehlt ein Spezialist. »Das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern«, sagt der dortige Kustos Jürgen Deckert.

Doch warum braucht es überhaupt Forschung zu Läusen? »Die Wissenschaft muss alle Insektengruppen bearbeiten, damit wir mehr erfahren über die Lebewesen um uns herum«, betont Deckert. Das sei wichtig für Fragen der Ökologie und Biodiversität. Zudem ließen sich an den Mallophagen, die in enger Beziehung zu ihrem Wirt leben, interessante evolutionsbiologische Fragen untersuchen.

Mit dem Menschen beispielsweise haben sich drei Läusearten entwickelt: Kopf-, Kleider- und Schamlaus. »Die hat nur der Mensch und kein anderes Säugetier«, betont Mey. So werde angenommen, dass die Kleiderlaus erst zur Kleiderlaus wurde, als der Mensch anfing, Felle und später auch Stoffe zu tragen.

Hätten Läuse nicht so ein negatives Image, könnte man Mey wohl den deutschen Läuse-Papst nennen. Deckert ist kein anderer Forscher bekannt, der sich hierzulande so intensiv mit diesen Tierchen befasst. Manche tragen sogar seinen Namen. Auch die Deutsche Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie muss passen - außer Mey kennt man dort niemanden, der diese Tiergruppe in Deutschland wissenschaftlich bearbeitet.

Und auch international gibt es nur wenige Fachleute. Vor drei Jahren, sagt Mey, habe er wahrscheinlich ein Exemplar einer neuen Läuseart des Europäischen Nerzes bekommen, das der genaueren Untersuchung harre. Auswerten will Mey auch noch Studien zu Läusen von Kängurus, die er bei einem Forschungsaufenthalt in Australien angestellt hat. »Ich komme einfach nicht dazu«, sagt er. Die Tierchen liefern unaufhörlich neuen Stoff.

Ein besonderes Kapitel aus der Welt der Läuse will sich Mey für seinen Ruhestand aufheben, der im kommenden Jahr beginnt: ihr Liebesleben. »Da habe ich«, sagt der Kustos, »in den vergangenen Jahren einige sehr interessante Beobachtungen gemacht.« dpa/nd

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