Die bucklige Verwandtschaft

Im Kino: »Der Nachtmahr« von Akiz

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Er wollte einen »kleinen, dreckigen Film« machen, sagt der sich Akiz nennende Regisseur Achim Bornhak über seinen zwischen Horrorfilm, David-Lynch-Rätselei und Teeniedrama angesiedelten »Der Nachtmahr«. Schon diese Haltung des Regisseurs ist in der aktuellen deutschen Filmlandschaft, in der gern allzu Großes angestrebt wird, aber manchmal nur allzu Sauberes dabei entsteht, nicht alltäglich. Der Film ist es auch nicht: Im Zentrum steht ein kleines buckliges Wesen zwischen Fötus und Greis, das zunächst Angst und Ekel, später auch Mitleid und Sympathie hervorruft. Es ist schon bemerkenswert genug, dass die legendäre deutsche Scheu vor dem angeblich flachen Genrefilm langsam zu weichen scheint, wofür »Der Nachtmahr« ein Beispiel ist. Akiz’ irritierender, ohrenbetäubender und von Stroboskopen durchzuckter Psychotrip versprüht dann zusätzlich noch gerade so viel Radikalität, dass man, wie die Nachrichtenagentur epd schreibt, »weder Technofan noch Teenager sein muss«, um vom Strom der düsteren Bilder und kalten Beats mitgerissen zu werden - auch wenn der Film nicht ohne Schwächen ist.

Es ist ein Erlebnis der krassen Kontraste. Zum einen visuell, da ein Gutteil der Handlung in dunklen, nur von Blitzen durchzuckten Nachtclubs spielt, wovor sogar eingangs gewarnt wird. Zum anderen inhaltlich, da dem undurchschaubaren Alptraum aus Monster, Mobbing und Mysterium, den die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow) durchlebt, die verständnislose und absurd-propere Welt ihrer Yuppie-Eltern gegenübergestellt wird. In diesem »realen« Teil der Erzählung erlaubt sich die raue Low-Budget-Produktion einige Klischees und Unglaubwürdigkeiten. Die Darstellung der angesichts ihrer verstörten Kinder hilflosen Eltern, die mit Psychopharmaka zurückschlagen, lappt zum Teil ins flach Komödiantische. Stark ist »Der Nachtmahr« an den Stellen, an denen er nichts erklärt, sich in Zeitschleifen verliert, zur surrealen Montage wird.

Tina und ihre Clique sind die »Rich Kids On LSD«: Auf Kosten ihrer betuchten Eltern koksen und feiern sie, als gäbe es kein Morgen. Und dann erscheint er Tina plötzlich am Rande einer Party - der Nachtmahr. Er geht einfach nicht wieder weg. Und das potthässliche, faule und verfressene Kerlchen ist praktisch das genaue Gegenteil der schönen, schlanken und diziplinierten Tina. Zunächst sieht nur sie das phlegmatische und dauernd laut schmatzend Essen in sich reinstopfende Vieh. Das führt zu den hier etwas überstrapazierten Szenen, in denen Tina wegen ihrer angeblichen Halluzinationen von Eltern und Mitschülern für verrückt erklärt wird. Gut dargestellt ist wiederum der gnadenlose Effekt, der Jugendliche dazu treibt, alles, was sie nicht verstehen, durch gemeinschaftliches Mobbing vernichten zu wollen. Wie in vielen anderen Teenager-Horrofilmen geht es auch hier übertragen um einen schmerzhaften Prozess des Erwachsenwerdens. Tina, und das ist wiederum überraschend, macht aber aus der Not eine Tugend: Sie gewöhnt sich nicht nur an den seltsamen und auch nicht wirklich gefährlichen Weggefährten, sondern freundet sich fast schon mit ihm an. Der Nachtmahr wird zum hässlichen Haustier, zur buckligen Verwandtschaft, zu der man aber stehen muss. Das ist der Moment, in dem er auch für die Umwelt sichtbar wird und in große Gefahr gerät.

Die bescheidene Handlung, die sich aufgeschrieben nicht unbedingt neu oder raffiniert anhört, tritt in dem Film zum Glück in die zweite Reihe. Es dominiert statt einer stringenten Erzählung eine Irritationen und Ängste fördernde Collage aus erschreckenden Visionen, rätselhaften Rückschauen und unerklärten Brüchen.

Den Nachtmahr selber hat der Regisseur, der auch Bildhauer ist, bereits vor 15 Jahren in Stein gemeißelt: »Da sah er eher aus wie eine Azteken-Statue«, sagt er in einem Interview. Auch im Ausland wird der Film übrigens unter seinem deutschen Titel vertrieben - wohl um ein (angebliches) europäisches Arthouse-Flair zu betonen. Weniger als 100 000 Euro hatte der lange in den USA als Werbe- und Dokumentarfilmer beschäftigte Akiz für diesen Auftakt seiner angekündigten »dämonischen Trilogie« zur Verfügung. Es wird also weitergehen. Beim nächsten Teil werden sich die Geldgeber wohl nicht so zugeknöpft geben.

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