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Linsensuppe auf syrische Art

Linksfraktionschef Freke Over beschäftigt in seinem Ferienland Luhme fünf Flüchtlinge

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Das alte Betriebsferienheim der Konsumgenossenschaft Berlin ist heute ein Kinderurlaubsparadies, in dem für gute Laune gesorgt ist.

Achmed ist 19 Jahre alt, sympathisch, engagiert, klug. Er ist Bürgerkriegsflüchtling aus Aleppo in Syrien. Durch das Hotel am Birkenhain, dass im vergangenen Jahr zum Asylheim umfunktioniert wurde, kann er keine fünf Schritte laufen, ohne angesprochen zu werden. Irgendjemand braucht immer eine Auskunft, und der freundliche Achmed hilft gern. Man denkt erst, er gehöre zum Personal, sei Sozialarbeiter. Aber er macht das alles umsonst. Der Heimbetreiber, die Ruppiner Kliniken GmbH, kann sich darüber freuen.

Unterwegs nach Europa, auf einer Zwischenstation in der Türkei, machte Achmed Abitur. Er spricht daher neben Arabisch und Englisch auch Türkisch - und darüber hinaus inzwischen ziemlich gut Deutsch. Dabei ist er erst sechseinhalb Monate in der Bundesrepublik. Doch Achmed ist mit seinen Sprachkenntnissen noch nicht zufrieden. In vier Monaten möchte er perfekt Deutsch können. Die Eltern und die Geschwister sind nach Berlin gezogen, aber dort leben viele Flüchtlinge in Turnhallen und bewegen sich fast ausschließlich unter ihren Landsleuten. Das möchte Achmed nicht. Er will sich schnell einleben und Medizin studieren. In Neuruppin gibt es möglicherweise eine Chance für ihn, an der privaten Medizinischen Hochschule »Theodor Fontane«. Vielleicht besorgen ihm die Ruppiner Kliniken ein Stipendium, und er fängt später als Arzt bei ihnen an. Zunächst muss das türkische Abitur anerkannt werden.

»Wir arbeiten daran«, verspricht Freke Over. Der Linksfraktionschef im Kreistag Ostprignitz-Ruppin kümmert sich um viele der 70 Flüchtlinge im Asylheim. In seinem Ferienland Luhme beschäftigt er 15 Mitarbeiter. Seit März sind dort zusätzlich fünf Asylbewerber im Einsatz, allerdings nur je zwölf Stunden im Monat. 8,50 Euro die Stunde bekommen sie. 75 Prozent des Geldes werde ihnen von der Sozialhilfe abgezogen, erläutert Freke Over. Es ist im Moment eine Art Beschäftigungstherapie. Over möchte helfen. Es könnte aber mehr daraus werden.

Vier Afghanen hat der Unternehmer unter Vertrag: die Frauen Roja und Fatima, die sauber machen und Betten beziehen, und die Männer Nasser und Ali, die Hausmeistertätigkeiten erledigen. Dazu kommt noch die Syrerin B'door, die neulich erstmals Gerichte aus ihrer Heimat für die Gäste zubereitete. Zwar sind alle Wohneinheiten im Ferienland mit einer Küche ausgerüstet, und die Familienurlauber versorgen sich in der Regel selbst. Doch 30 Gäste sind zum syrischen Festmahl erschienen, weil sie neugierig auf exotische Speisen waren. Es gab Linsensuppe, Salat und Humus, Reis, Hühnchen und Kartoffel und es hat allen ausgezeichnet geschmeckt, wie Over betont.

»Am Anfang wollten alle Flüchtlinge nach Berlin, so schnell wie möglich«, erzählt er. Inzwischen sehen einige ein, dass es in der Kleinstadt Rheinsberg viel schöner sei als in der Metropole, dass ihre Lebensbedingungen hier besser sind und dass sie hier eine Perspektive haben. Denn in Rheinsberg gibt es freie Wohnungen und offene Arbeitsstellen.

Over selbst, der vor zwölf Jahren ein altes Betriebsferienheim der Konsumgenossenschaft Berlin kaufte und zum Ferienland Luhme umgestaltete, hatte im Laufe der Jahre immer wieder Schwierigkeiten, Reinigungspersonal zu finden. Roja und Fatima würde er deswegen gern mehr einspannen. Im Moment funktioniere das noch nicht, bedauert er. Wegen Verständigungsschwierigkeiten müsse er zu oft daneben stehen. Ein Beispiel: »Das Wort ›Schubkarre‹ sitzt jetzt bei Nasser, nachdem er einmal meine Bitte nicht verstanden und einen Spaten geholt hat.«

Damit die Integration gelinge, sei intensiver Sprachunterricht erforderlich, findet Over. Zumindest dies müsste Deutschland seiner Ansicht nach aus der Gastarbeiterzuwanderung in die Bundesrepublik der 1960er Jahre gelernt haben. »Ich brauche kein Geld. Mir nutzt es nichts, wenn ich einen Lohnkostenzuschuss bekomme, aber der Flüchtling versteht mich nach sechs Monaten immer noch nicht.« Die Asylbewerber müssten anfangs Berufsbetreuer zugeteilt bekommen, meint Over.

Das brandenburgische Bildungsministerium unterstützt ab sofort die Alphabetisierung von Menschen, die in ihrem Herkunftsland keine Chance hatten, Lesen und Schreiben zu lernen. Dafür stehen im laufenden Jahr 300 000 Euro bereit, wie Bildungsminister Günter Baaske (SPD) am Donnerstag mitteilt. »Bildung ist der Schlüssel zur Integration«, sagt er. »Deshalb fördern wir die direkte Alphabetisierung von Flüchtlingen sowie Weiterbildungsveranstaltungen für haupt- und ehrenamtlich Tätige, die Sprachkurse für Flüchtlinge anbieten.« Diese und ähnliche Maßnahmen sind der richtige Weg. Aber es hat bis hierhin lange gedauert, zu lange, wie Over kritisiert. Außerdem gibt es immer noch nicht genug Sprachunterricht.

Over ist jetzt 48 Jahre alt. Er stammt aus Niedersachsen, besetzte nach der Wende in Berlin Häuser, weshalb er heute in Rheinsberg zuweilen immer noch als Bürgerschreck hingestellt wird. Dabei liegt seine letzte Räumung 20 Jahre zurück. Bis 2006 saß Over im Berliner Abgeordnetenhaus. Bei kreativen Wahlkämpfen und politischen Spaßaktionen war er vorne mit dabei. In seinem alten Wahlkreis in Berlin-Friedrichshain ist er eine Legende. Ein Typ wie er ist unersetzlich. In der Hauptstadt fehlt er. Dafür kann er mit guter Laune nun seine Feriengäste anstecken. Er hat immer eine Anekdote auf Lager. So scherzt er: »Den größten Profit von der Ankunft der Flüchtlinge hat die Stadt Rheinsberg über die Einnahmen aus der Hundesteuer. Aus Angst vor den Fremden haben sich viele Leute Wachhunde angeschafft. Inzwischen lassen sich die Hunde von tierlieben Asylbewerbern das Fell kraulen.« Oder der 48-Jährige erzählt von den Stadtkindern aus Berlin-Kreuzberg, die aufgeregt rufen: »Die Kuh ist ausgebrochen, die Kuh ist ausgebrochen«. Over schmunzelt: »Und dann gehe ich und sperre das Schaf wieder ein.«

Im Ferienland Luhme stehen in leichter Hanglage zwei Häuser und mehrere Bungalows. Over hat die Gebäude modernisiert, ein Hexenhäuschen gebaut und einen kleinen Heimtierzoo mit Schweinen, Ziegen, Schafen und Kaninchen angelegt. Ein Huhn stolziert herum. Betten für 110 Besucher sind vorhanden. Kitagruppen und Grundschulklassen sind werktags das Hauptgeschäft. Kurzurlaub an den Wochenenden buchen Familien. Manchmal kommen alte Genossen aus Friedrichshain vorbei, wie das Paar, das sich gerade auf dem wunderschönen Gelände umgeschaut hat und nun schwärmt. Den Enkeln wollen sie einen Besuch im Ferienland unbedingt empfehlen. Es ist ein Kinderparadies. Ursprünglich suchte Over ein Wassergrundstück. Aber das er in Luhme ein anderes Objekt fand, stellte sich als Vorteil heraus. So müssen Eltern und Erzieher keine Bange haben, dass kleine Kinder ertrinken. Die Knirpse können gefahrlos unbeaufsichtigt herumtollen - und das tun sie auch.

Wenn die Urlauber aber doch baden möchten, so ist das kein Problem. In geringer Entfernung erstrecken sich rundum verschiedene herrliche Waldseen. An einer schönen Badestelle in der Nähe des Asylheims sitzen am Ufer Flüchtlingsfrauen mit hochgeschlossenen Kleidern, Jeanshosen und Kopftuch genauso wie Feriengäste und Einheimische im Bikini. Muslimische Jugendliche schwimmen in Turnhosen und Unterhemden. Die Kinder sind nackt und planschen zusammen. Niemand glotzt blöd. Die Stimmung ist friedlich und freundlich. Aber es gibt Verständigungsschwierigkeiten. Das ändert sich schnell, als der 19-jährige Achmed angeradelt kommt. Von allen Seiten wird sein Name gerufen. Er winkt den Muslimen zu und begrüßt eine einheimische Frau, die ihn freundschaftlich umarmt. Gleich hat er eine Verabredung für den Abend. Freke Overs Angestellte B'door kocht bei deutschen Freunden und Achmed soll dazukommen. Einen Augenblick sieht es so aus, als sei die Integration bereits vollständig gelungen.

Ferienland Luhme, Heegeseeweg 8-9, Tel.: (03 39 23) 714 25, ferienland- luhme.de

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