Schönes Leben beschädigt

Bewusstsein von Grazie und Geist: Die Schauspielerin Senta Berger wird 75

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie ist eine starke Schauspielerin - und zwar von raffiniertester Art: Das fein Mondäne dieser Frau kann überfallartig wechseln ins gnadenlos Derbe, Angriffige; und eine listig ausgestellte Naivität unter großen staunenden Augen vermag verblüffend umzuschlagen in entwaffnende Souveränität. Senta Berger: Das ist das einnehmende Bewusstsein von Grazie und Geist.

Sie besaß Aura für berühmteste Bühnen, und sie hat das Fernsehen mit der Illusion geadelt, es finde großes Kino statt (»Kir Royal«). Ihren Beruf fasste sie so zusammen: Nie möge man der Wahrheit ausweichen, dass uns das Leben »in erster Linie - beschädigt«. Am Anfang aber standen: die Schönheit - und Hollywood. Namen wie ein Nerz, ums Weibliche dieser Wienerin gelegt: Kirk Douglas, Yul Brynner, John Wayne, Charlton Heston, Frank Sinatra. Mit ihrem Mann Michael Verhoeven (Vater Paul Verhoeven drehte übrigens den DEFA-Klassiker »Das kalte Herz«) ist sie nach erfolgreichen Jahren aus den USA weggegangen - junge Filmemacher begannen die Szene zu erobern, mit sehr eigenen Themen - kein Platz mehr war fürs Kino des Kalten Krieges, in dem die Berger die geheimnisvolle Exotin sein durfte, mehr kaum. Dieser Weggang offenbarte: Sie ist eine Frau mit genauem Gespür für Wert, Wirkung - und die jeweilige Zeit für beides.

Mit Michael Verhoeven, einem der bescheidensten wie konsequentesten Ethiker des Gewerbes, drehte Berger die erfolgreiche TV-Serie »Die schnelle Gerdi«, und gemeinsam mit ihm gründete sie die unabhängige Filmproduktionsfirma »Sentana«. Mit viel Risiko, auch finanziell (»bis hin zur Hypothek aufs Haus«). Aber ohne Gratwanderung ist Charakter nur ein halber.

Die 1941 Geborene kennt noch die Bombenangriffswirren, sah die »Aschefladen« über dem brennenden Opernhaus. Aus dem Max-Reinhardt-Seminar flog die Studentin wegen unerlaubter Arbeit beim Film. Ihre Mutter? Ein »Arbeitermädel bis zum Lebensende«, sagt die Tochter liebevoll. Der Vater träumte eine Musikerlaufbahn, muss aber den großväterlichen Verchromungsbetrieb übernehmen - also musiziert er wenigstens im Kurpark. Welch rührende Kraft, die Tragödie eines falschen Lebens auszuhalten und dies mit sonntäglich kleiner Münze belohnt zu bekommen.

Ihre Ermittlerin in der ZDF-Reihe »Unter Verdacht« gilt als preisgekrönte Ausnahmeerscheinung auf dem TV-Verbrechensspielfeld: Aus den Stoffen drängt der Zorn über eine Kriminalität, die nicht nur individueller Verderbtheit geschuldet ist, sondern strukturelles, gesellschaftlich wurzelndes Gebrechen offenlegt. Polizeirätin Eva Prohacek, in all ihrer Anrennungsenergie, dann wieder in ihren Ohnmachtsstummschreien - die Verzweiflung bietet der Unermüdlichkeit das Du an.

Jeder Mensch besitzt Erzählungsdiamanten, die ihm das Leben einglänzen. Senta Berger hat immer wieder vom Besuch bei einem befreundeten US-Produzenten erzählt. Schon oft war sie da, aber plötzlich entdeckt sie am Arm der Ehefrau die KZ-Nummer. Ist fast etwas beleidigt: warum so lange diese Verschwiegenheit! Die Antwort der Jüdin: »Ich will doch, dass du die Menschen liebst.«

An diesem Freitag wird Senta Berger 75 Jahre alt.

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