»Letzte Ehre und Würde geben«

Wiesbadener Obdachlose pflegen Obdachlosen-Gräber, um die sich sonst keiner kümmert

  • Andrea Löbbecke, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn ein Obdachloser stirbt, dann muss das Begräbnis häufig von der Kommune übernommen werden. Danach verwildern die Gräber oft, weil niemand sich kümmert. In Wiesbaden ist das anders.

Manfred ist jemand, der anpackt. Kaum ist die Gruppe auf dem Friedhof angekommen, zieht er los, um die Gräber verstorbener Obdachloser zu suchen. Oft sind diese Ruhestätten am Unkraut zu erkennen, das sich in den vergangenen Wochen breit gemacht hat. So wie bei Wolfgang - 2004 gestorben, nur 54 Jahre alt geworden.

Manfred rückt mit Hacke und Schaufel an, macht sich gleich ans Werk. »Die Gräber würden ohne uns total verkommen«, sagt der 56-Jährige, der seinen echten Namen nicht nennen möchte. Die Gruppe kommt aus dem Übergangswohnheim für Obdachlose der Diakonie Wiesbaden. Die Grabpflege-Initiative gibt es seit rund sechs Jahren.

»Das Projekt dient dazu, den Menschen eine Tagesstruktur zu geben«, erklärt die Werkstattleiterin des Wohnheims, Uta Meklenburg. Sie stellt mit ihren Schützlingen auch die Holzkreuze und Umrandungen für die Urnengräber her. Die Arbeit schaffe Erfolgserlebnisse, es entstehe ein sozialer Verbund, betont die Schreinermeisterin. Für viele Obdachlose sei die Auseinandersetzung mit dem Tod alltäglich. »Menschen, die ganz unten waren, für die ist das ein Thema«, sagt Meklenburg. »Wohnungslosigkeit ist nicht gesundheitsfördernd.«

Sie findet es besonders wichtig, dass Obdachlose auch in der Gemeinde begraben werden, in der sie sich heimisch gefühlt haben. »Auch ein Wohnungsloser hat ein soziales Umfeld«, erklärt Meklenburg. Aus Kostengründen die Menschen anonym irgendwo zu begraben - das lehnt sie ab. »Das ist doch etwas würdelos.«

Nach den Worten von Michael Hofmeister, Sozialexperte beim Hessischen Städtetag, ist es zum Beispiel in Hessen grundsätzlich üblich, die Menschen in der Gemeinde zu bestatten, wo sie zu Hause waren. Ein Begräbnis von Menschen, deren Angehörige nicht dafür aufkommen können, bezahlen Städte oder Kreise. Dabei werde in der Regel »nicht das billigste« genommen und auch Blumenschmuck bezahlt, sagt Hofmeister. Die laufenden Kosten der Grabpflege sind jedoch nicht enthalten.

»Die Toten haben ja keine Familie. Ihre Gräber würden verwildern«, sagt Sascha, auch ein Bewohner des Übergangsheims. »Ich will ihnen ihre letzte Ehre und Würde geben.«

»Ich mache das, damit man am Tag was zu tun hat«, erklärt Manfred und sein Kumpel Hacky ergänzt: »Wenn Hilfe gebraucht wird, dann helfe ich.« Es sei schließlich langweilig, den ganzen Tag in der Hütte zu hocken, sagt der 51-Jährige.

Nach den Worten des Wohnheimleiters Michael Kiel kommen immer genügend Freiwillige für die Grabpflege zusammen. Zur Vorbereitung des Projektes 2009 suchte eine Mitarbeiterin zunächst in mühsamer Kleinarbeit die Friedhöfe ab, um Obdachlosengräber zu identifizieren. Inzwischen kümmert sich die Gruppe um mehr als 50 Grabstätten. Das Material wie Erde, Blumen und Holz, finanziert die Diakonie unter anderem über Spenden.

Nach den Erfahrungen von Michael Kiel kennen sich viele Obdachlose untereinander. »Sie möchten auch eine Erinnerungskultur haben, sie möchten helfen«, sagt der Diplom-Sozialarbeiter. »Die Menschen, die bei uns wohnen, sollen mitbekommen, dass wir niemanden vergessen. Dass wir für ihn da sind auch nach dem Tod.« dpa/nd

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