Wenn das kein Typ von heute ist. Oder?

Jochen Biganzoli inszeniert in der Dresdner Semperoper Paul Hindemiths »Mathis der Maler«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.
»Mathis der Maler« schien vergessen, während die gleichnamige Symphonie gelegentlich noch zu hören ist. Doch jetzt hat die Semperoper Dresden das 1935 vollendete Stück von Paul Hindemith wieder hervorgeholt.

In Paul Hindemiths 50. Todesjahr, 2013, hat ein Teil des Betriebs sich seiner erinnert. Viel Kammermusik wurde gespielt, darunter kunstvolle Konzertwerke von hoher Handwerklichkeit. Kaum eine Oper. Sein psychologisierender »Cardillac« stand allenfalls auf dem Programm in ausgesuchten Häusern. »Mathis der Maler« schien vergessen, während die gleichnamige Symphonie gelegentlich noch zu hören ist.

Nun hat die Semperoper Dresden das 1935 vollendete Stück wieder hervorgeholt, und mit ihm jenen Typ des Künstlers, der immer eine Dame bei sich hat, eine, die schön sein muss und befähigt, mit ihm zu leiden. Mathis schätzt die Revolte der Bauern durchaus und unterstützt jene durch Klerus und Staat mit Fluch Beladenen, schreckt jedoch zurück, regiert blutige Gewalt. Mathis ist Fleisch gewordene Rührung. Mit ihm zu fiebern, ist die erste Übung der Zuschauer. Einfühlung ist gefragt.

Da spielt ein Menschenkind, leicht vertrottelt, immer in Gedanken vertieft, erbaulichen wie finsteren, immer mit einer Arie auf den Lippen. Die Tonfälle wechseln bisweilen jäh. Es sind traurige, beherzte, in sich gekehrte, aktionistische, reflektierende, der Liebe und dem Humanen kühn zugewandte Gesänge, die nie rein sind, die immer auch den Zweifel, die Vorsicht, eine Angst mitführen. Mathis, in Diensten eines hohen Kirchenmannes, liebt den Frühling so sehr wie den Aufstand des Gewissens. Die Dunkelheiten des Isenheimer Altars sind ihm um keinen Deut weniger heilig als die unendlichen Brechungen des Lichts.

Wenn das kein Typ von heute ist. Oder? Leben solche mutvollen und zugleich von unendlichen Leiden geplagten Mathise noch unter uns? Wo findet der Bürger sie?

Da wankt einer auf bebender Erde. Die Zeit bröckelt. Ideale des Schönen, des Stimmigen gehen zu Bruch. Edelmut bleibt auf der Strecke. Jesus hängt tanzend in den Seilen. Begreifliche Wahrheiten wertlos. Was war vor 500 Jahren anders als in den Jahren, in denen die Oper entstand? Hindemith, von den anfänglich ihn hofierenden Nazis verachtet, weil er sich entschlossen hatte, Deutschland zu verlassen, hält in »Mathis« seiner Zeit den Spiegel vor. Er zeigt den Kunstaburteilungswahn und das Stiefelwalzen derer, die tausend Jahre die Welt deutsch beglücken wollten, wie sie ihn und seine Kunst zu zerquetschen drohen.

Nicht zufällig spielt die 1938 in Zürich uraufgeführte Oper nach einem Libretto des Komponisten zur Zeit des Bauernkriegs und einer Periode der Leichenstille danach. Sonnenklar für das Dresdner Ensemble, sie in die Jetztwelt mit ihren Extremen zu stellen, auch dem, dass vor seinem Hause der Mob schon wieder brüllt und vor Elogen auf das schwärzeste Kapitel der Menschheitsgeschichte keinesfalls zurückschreckt.

Eine farbige, tiefernste, aktionsbetonte Inszenierung ist Jochen Biganzoli gelungen. In vier Stunden mit zwei Pausen spulen die sieben Bilder, eines so charakteristisch wie das nächste, ab. Dieser »Mathis« wartet mit grandiosen Sängerleistungen und einer Staatskapelle auf, die unter Simone Young eine fabelhafte Vorstellung hinlegte. Die Ouvertüre ist allein an die zehn Minuten lang. Dann die Not der blutenden Aufständischen mit ihrem Anführer Hans Schwalb, der einzig rundweg positiven Rolle der Oper. Herbert Lippert inkarniert die Figur als Typus eines beispielhaften Revolutionärs, der Vernunft bewahrt noch in der Stunde, da der Haufen wider die Obrigkeit Rache schwört und den Grafen henkt - der geht am Strick nicht runter, sondern hoch -, die Wut der Bauern im Zaum hält.

Keine Scheu hat die Bühne, die hundertfache Rache der Herrscher ins Bild zu setzen, wenn deren Macht auf dem Spiele steht. Mit Maschinenpistolen im Schwall sprühender Funken, bellenden Geknalls und feierlichem Glimmer schießt deren Polizei die Hungerleider nieder. Bilderbuchformat hat der elegante, gleichermaßen auftrumpfende wie von Ängsten befallene Graf von Brandenburg in all seiner Unschlüssigkeit. John Daszak gibt den Dienstherrn des Mathis als bild- und stimmkräftigen aufgeklärten Katholiken. Er, den Protestanten nicht ungewogen, soll im höheren Interesse eine derer zur Frau nehmen, weil das die Probleme des Landes lösen würde. Das leidenschaftlich gesungene, pathetisch orchestrierte Duett mit den Konkurrenten dahinter spielt sich wie auf einer Kinoleinwand ab. Der allzu große Hang des Kardinals am Alten lässt bei Ursula nur Enttäuschung zurück. Der Coup scheitert, und kein Problem ist vom Tisch.

Großer Auflauf im fünften Bild. Es geht ans Bücherverbrennen mit den bekannten Slogans. Umzugskartons entleeren und füllen sich wieder. Buntes Volk, maskiert, gelackt, mit Geschenktüten in der Hand, tanzt Veitstanz. Oben der hottende Jesus im Licht. Das sechste Bild simuliert eine Kunstauktion. Da kommt ein Altarbild für riesige Geldmassen unter den Hammer. Goebbels’ Rede über Unkunst, Atonalität aus dem Lautsprecher. Das Schlussbild zeichnet so etwas wie ein kleines Konzertpodium nach.

Essenziell sind die Figuren der Regina und der Ursula (Emily Dorn, Annemarie Kremer). Regina gehört zu den Aufständischen, ihren Vater Schwalb bringt die Soldateska um. Ursula, dem Kardinal gefühlsmäßig nicht ungeneigt, stehen Gedanken der Aufklärung nahe. Beide in Widersprüche verhakte, mutige, mitfühlende, kluge, in höchstem Maße ihren Fiorituren Ausdruck gebende Frauen. Mit Koffern in der Hand nehmen sie wie Exilantinnen Abschied von Mathis, der, gealtert, zuletzt einsam, trostlos, gedrückt mit einer Geige auf dem Schoß dasitzt, nachdem er den Frauen und der Welt Ade gesagt hat.

Markus Marquardts Wiedergabe der vielfarbig instrumentierten Titelrolle wusste allseits zu überzeugen. Groß diese engagierte Inszenierung, groß der Beifall.

Nächste Vorstellungen: 10. und 15. Mai

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