Nicht alles anders, aber vieles besser
Neuer Leiter von Notunterkunft setzt auf Partizipation
Vielleicht liegt in der Ecke eine tote Ratte. Ein Bewohner der Notunterkunft in der Osloer Straße in Wedding meint jedenfalls, er rieche sie. Lebende Ratten wurden hier immerhin seit Wochen nicht mehr gesehen, nachdem der Kammerjäger vor Ort war. Christian Torenz will sich gleich auf die Suche nach dem Kadaver machen.
Seit zehn Tagen leitet Torenz die Einrichtung. Vorher gab es nicht nur Beschwerden über Ratten, die auf dem sandigen Gelände um die Turnhalle herum wohl zuhauf hausen. Bewohner beschwerten sich über andere Bewohner, weil sie nachts noch laut Musik hörten. Immer wieder weigerten sich die Geflüchteten zu essen. Der Caterer tischte nicht unbedingt schlechtes Essen auf, aber Unbekanntes. Vietnamesisch, Chinesisch, das passte weder Arabern noch Serben oder Bosniern. Ehrenamtliche, die Missstände benannten, erhielten Hausverbot. Auch Bewohner wurden rausgeworfen. Die Liste mit Personen, die die Unterkunft nicht mehr betreten dürfen, liegt neben dem Eingang bei der Pförtnerin. Rund 15 Namen stehen darauf.
Einige Hausverbote gelten noch heute. »Ich kann nicht alles, was hier vorher entschieden wurde, von heute auf morgen zurücknehmen«, sagt Torenz. Schon jetzt arbeite er fast sieben Tage die Woche und zwölf Stunden am Tag. Aber er will vieles anders machen. Konflikte will er nicht mit Hausverboten lösen, sondern mit Worten. Oder auch mal mit Schweigen. »Wenn sich zwei streiten, schlage ich ihnen vor, sich einfach mal ein paar Tage aus dem Weg zu gehen.«
Als er seinen Dienst antrat, rief Torenz eine Bewohnerversammlung ein und fragte, was schlecht laufe und was sie sich wünschen. Essen, Lärm, auch medizinische Probleme waren Thema. Jetzt soll jeder der acht Mitarbeiter zu einem der Themen gemeinsam mit Bewohnern eine Arbeitsgruppe bilden und nach Lösungen suchen.
Mit einigen Problemen hat sich Torenz bereits befasst. Mit dem Caterer will er einen anderen Speiseplan entwickeln, auswechseln könne er den Lieferanten laut dem Betreiber der Notunterkunft, dem BTB-Bildungszentrum, aber nicht. Ehrenamtliche werden nicht mehr an der Tür abgewiesen. Stattdessen freut sich Torenz über ihre Hilfe. »Wenn wir 169 Ehrenamtliche hätten, dann hätten wir eine persönliche Betreuung für jeden unserer Bewohner«, visioniert er. Die Mitarbeiter der Einrichtung seien zu wenige, um sich mit jedem einzelnen Bewohner intensiv zu befassen. Schon jetzt hat er neue Helfer ins Heim geholt, die zum Beispiel Fahrräder reparieren. Anders als sein Vorgänger wolle er sein frei verfügbares Budget besser ausnutzen, sagt Torenz. Er hat Übersetzer ins Heim geholt und bezahlt Anwälte, die die Bewohner in verschiedenen Sprachen über ihr Asylverfahren informieren.
Torenz ist Finanzberater, während seiner Abiturzeit schrieb er für »junge Welt« und »neues deutschland«. Nebenher spielt er im Fußballverein Roter Stern Berlin. Von seiner Firma hat er sich ein Jahr Auszeit genommen, um sich in der Flüchtlingsarbeit zu engagieren. »Ich will positiv organisierend hineinwirken«, sagt er. Das komme nicht nur den Flüchtlingen zugute. Wenn er die privaten Betreiber dabei unterstütze, die Qualitätsstandards einzuhalten, dann gäbe es letztlich weniger Probleme in den Einrichtungen, und die Betreiber haben weniger Scherereien. Fünf Monate testete er sein Konzept in einer Flüchtlingsunterkunft in Marzahn-Hellersdorf aus - erfolgreich, wie er findet.
In der Osloer Straße sind bisher sowohl Bewohner als auch Ehrenamtliche mit Torenz› Arbeit zufrieden. Seit er das Ruder übernommen hat, wird um 23 Uhr das Licht gelöscht, und es gilt Nachtruhe. »Das ist sehr wichtig für uns. Wir haben Kinder, die wollen schlafen«, sagt eine Syrerin. Gut ist damit noch lange nicht alles. Die Doppelstockbetten stehen im ganzen Raum verteilt, für Frauen und Familien gibt es keinen abgetrennten Bereich. An den Betten befestigte Laken und Decken bieten spärlichen Sichtschutz. Toiletten stehen hauptsächlich in Form von Dixi-Klos vor der Tür. »Ich will eine Wohnung und selbst kochen«, sagt die Frau aus Syrien. »Als ich hier ankam, dachte ich, nach einer Woche werde ich verrückt«, sagt ein syrischer Mann, während sein kleiner Sohn auf ihm herumklettert. »Jetzt bin ich schon sechs Monate hier.« Wenn sie im Juni noch immer hier wohnen müssen, hoffen beide, dass die Caterer den Ramadan berücksichtigen und Essen auch nach Einbruch der Dunkelheit ausgeben.
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