Bis an die Leistungsgrenze
Mitarbeiter im Handel leiden unter Arbeitsbelastung - Kundenservice macht krank
Der Kunde ist König - für die Mitarbeiter im Handel bleibt die Rolle des Dieners. Das hat Folgen für die Gesundheit: Die Beschäftigten im Einzelhandel sind zwar seltener, dafür aber länger krankgeschrieben und leiden häufiger an langwierigen Problemen wie psychischen Krankheiten oder Muskel-Skelett-Leiden. Dies ist das Ergebnis des »Branchenreports Handel«, den die Krankenkasse DAK-Gesundheit und die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) am Donnerstag in Berlin veröffentlichten.
Darin wertete das IGES Institut die Unfalldaten von rund 3,6 Millionen zu vollzeitbeschäftigt hochgerechneten Arbeitern im Groß- und Einzelhandel sowie die Fehlzeiten aller in der Branche erwerbstätigen Mitglieder der DAK-Gesundheit aus. Darüber hinaus wurden bundesweit 4000 Beschäftigte aus dem Handel sowie Vertreter der Geschäftsleitung und Verantwortliche im Gesundheitsschutz befragt. Das Ergebnis: Die Sicherheits- und Gesundheitskultur ist in vielen Unternehmen nur mittelmäßig ausgeprägt.
Laut der Studie arbeiten im Einzelhandel 87 Prozent der Beschäftigten ausschließlich oder überwiegend mit Kunden, im Großhandel sind es etwa zwei Drittel. Auch bei hoher Arbeitsbelastung müssen die Beschäftigten immer freundlich bleiben, was in der Auseinandersetzung mit anspruchsvollen Kunden emotional sehr belastend sein könne, so die Studie. Zwei Drittel der befragten Beschäftigten (69 Prozent) müssen häufig oder manchmal bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit gehen. Das sind bei 4,9 Millionen Beschäftigten in der Branche rund 3,4 Millionen Männer und Frauen.
Für Udo Schöpf, Vorsitzender der BGHW, ist nicht jede Belastung per se schlecht. Vielmehr seien die Fehlbelastungen relevant, die nicht zuletzt mit der Frage zu tun haben, wie ein Unternehmen strukturiert, organisiert und geführt wird. »Der klassische Arbeitsschutz reicht nicht mehr aus, stattdessen sei ein Blick in die Unternehmenskultur notwendig«, so Schöpf bei der Vorstellung der Studie.
Häufig fehlt es an geeigneten Aufenthaltsräumen, fast jeder dritte Befragte muss die Pause in Abstell- oder Lagerräumen verbringen. Darüber hinaus können fast die Hälfte der Beschäftigten mit viel Kundekontakt (46 Prozent) nur selten selbst entscheiden, wann sie Pause machen wollen.
Dabei ist der Krankenstand in der Branche offenbar nicht unüblich. Im Großhandel war er 2014 mit 3,4 Prozent leicht unterdurchschnittlich, im Einzelhandel war er mit 4,0 Prozent in etwa auf so wie der Durchschnitt aller Versicherten der DAK-Gesundheit von 3,9 Prozent. Dafür werden die im Einzelhandel Beschäftigten länger Krankgeschrieben, mit sechs Prozent mehr Fehltagen wegen psychischer und zwölf Prozent mehr wegen Muskel-Skelett-Leiden als im Durchschnitt aller erwerbstätig Versicherten der DAK-Gesundheit. Rückenprobleme und andere Muskel-Skelett-Erkrankungen sind für jeden vierten, psychische Erkrankungen für jeden sechsten Fehltag verantwortlich.
Thomas Bodmer vom Vorstand der DAK-Gesundheit möchte deshalb die Trennung zwischen Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung aufheben. Er wirbt dafür, dass Unternehmen eine betriebliche Kultur der Sicherheit und Gesundheit nicht als Luxus betrachten. Die Studie zeigt nämlich auch, dass die von Vorgesetzten vorgelebte Unternehmenskultur maßgeblich die Zufriedenheit der Beschäftigten beeinflusst. »Kundenorientierung darf nicht zulasten von Sicherheit und Gesundheit gehen«, fordert Bodmer. Für die dafür notwendige betriebliche Kultur sind die Vorgesetzten verantwortlich.
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