Hartz IV: Fast jede zweite Klage gegen Sanktionen erfolgreich
Linkenvorsitzende Kipping: Praxis des Strafens in hohem Maße rechtswidrig - Forderung nach Abschaffung erneuert
Berlin. Mehr als jede dritte Sanktion, gegen die Hartz-IV-Empfänger Widerspruch einlegen oder klagen, stellt sich als unrechtmäßig heraus. Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte, wurde im vergangenen Jahr rund 18.600 Widersprüchen in rund 51.000 Fällen ganz oder teilweise stattgegeben. Bei 5.867 Fällen, die 2015 vor Gericht landeten, waren die Betroffenen in 2.325 Fällen juristisch erfolgreich. Das berichtet die »Rheinische Post«. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, sagte dem Blatt, die Zahlen seien eine Bestätigung für die Forderung ihrer Partei, Sanktionen und Leistungsversagung für Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen. »Die hohe Anzahl der teilweise und gänzlich erfolgreichen Widersprüche von über 36 Prozent und erfolgreichen Klagen gegen Sanktionen von fast 40 Prozent zeigt, dass die Sanktionspraxis in hohem Maße rechtswidrig ist«, so Kipping. Gegen die schon länger umstrittenen Sanktionen, die unter anderem verhängt werden, etwa weil die Erwerbslosen angeblich nicht ausreichend mitwirken, ihre Bedürftigkeit nachzuweisen, gab es im vergangenen Jahr rund 14.000 Widersprüche und knapp 1.200 Klagen.
Vor wenigen Tagen hatte das Projekt »Sanktionsfrei«, das sich gegen das Hartz-Regime für Erwerbslose engagiert, für seine Finanzierung ein wichtiges Etappenziel erreicht: Beim Crowdfunding-Portal startnext.com überwand die Initiative mit 75.000 Euro die so genannte Fundingschwelle, also die Mindestsumme, die benötigt wird, um das Projekt realisieren zu können. Als Ziel hat der dahinter stehende Verein 150.000 Euro als Finanzierungsziel ausgegeben. Sanktionsfrei, hinter der unter anderem die Jobcenter-Rebellin Inge Hannemann steht, soll eine kostenlose Onlineplattform werden, »das Betroffene umfassend informiert und kompetent begleitet«. Man wolle Sanktionen im Voraus vermeiden und mit Widersprüchen und Klagen gegen die Sanktionen kämpfen - uns »so die Jobcenter lahm« legen. Zudem wolle man verhängte Sanktionen aus einem Solidartopf auffüllen, heißt es. Niemand dürfe »weniger haben als das verfassungsgemäße Existenzminimum«.
Hintergrund: Viele der von den Arbeitsämtern verhängten Sanktionen gegen Erwerbslose sind rechtswidrig. »40 Prozent der Widersprüche und Klagen gegen Jobcenter sind bereits heute erfolgreich«, so die Initiative. Allerdings würden sich nur 5 Prozent der Betroffenen wehren. »Wären es doppelt so viele, könnten wir einpacken«, zitiert die Initiative einen Insider. Man strebe an, »dass gegen jede Sanktion, die von einem Jobcenter verhängt wird, rechtlich vorgegangen wird«. Viele der Hartz-Strafen würden überdies nur entstehen, »weil die Betroffenen zu wenig über ihre Rechte informiert werden«. sanktionsfrei.de soll kostenfrei sein und »den gesamten Briefverkehr mit dem Jobcenter - also alle notwendigen Formulare und alle Schreiben an das Jobcenter - online« begleiten. nd
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