Heimatfilm mit Flüchtlingen

Im Kino: »Café Waldluft« von Matthias Koßmehl

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei manchen Vorabendserien drängt sich die Frage auf, in welcher Parallelwelt sie eigentlich spielen: eine Paralellwelt, in der zum Beispiel die »Rosenheim Cops« zwar einmal pro Woche einen Mord in ihrer idyllischen bayrischen Kleinstadt zu lösen haben (ein Mord pro Woche! In einer Kleinstadt!), aber nie auch nur einen einzigen Flüchtling zu Gesicht bekommen. Auch zu Zeiten vor den Grenzschließungen nicht, als Flüchtlinge täglich zu Hunderten aus den Zügen aus Österreich geholt wurden und die reale Rosenheimer Polizei schon gar nicht mehr wusste, wo sie sie unterbringen sollte.

Der Dokumentarfilm »Café Waldlust« handelt von einem Ausflugslokal in Berchtesgaden, gar nicht weit weg von Rosenheim also. Und hier wird nicht weggeschaut. Die titelgebende Pension mit unverbaubarem Blick auf den Watzmann beherbergt seit Jahren vorrangig Asylbewerber. Zu Anfang habe man nebenher weiter Ausflügler aufgenommen und mittags ganze Reisebusse abgefüttert, aber das sei auf die Dauer nicht gegangen, erzählt Flora Kurz, die Wirtin. Nun ist das ganze Haus an die Behörde vermietet. Keine humanitäre Entscheidung zunächst, sondern aus den Umständen geboren: Der Gastwirt war ihr Mann und ihre eigenen Pläne für den Ruhestand waren ganz andere. Aber dann ist der Mann gestorben, und da mussten neue Pläne her.

Auch für ihre 35 überwiegend männlichen Gäste war die Umsiedlung nach Deutschland allenfalls Plan B. Alle, mit denen der junge Dokumentarfilmer Matthias Koßmehl, selbst aus der Nähe von Berchtesgaden gebürtig, ausführlicher sprach, haben Familie in der alten Heimat zurückgelassen und ein Leben, das ihnen jeden Tag schmerzlich fehlt. Alle wissen ihre Pensionswirtin zu schätzen (sie nennen sie Mama), alle sprechen voller Dankbarkeit über ihre gute Aufnahme, über Deutschland, über den lebenswerten Ort und die atemberaubende Landschaft. Aber keiner von ihnen wäre hier, wenn er eine Wahl gehabt hätte.

Hardy Jallo nicht, aus Sierra Leone, der angehende Altenpfleger mit gutem Deutsch und inwärts gewandtem Blick, der sich aus dem Fenster stürzte, als sein Asylantrag vor der Ablehnung stand, und der erst im Krankenhaus, dann im Kirchenasyl und schließlich wieder bei Mama Flora landete. Jamshid Hamta nicht, der in Afghanistan von den Taliban malträtiert wurde und jetzt in der Küche aushilft. Imtiaz Ahmad nicht, der in Depressionen versinkt, weil er alleine nach Deutschland kam, und inständig hofft, dass seine Papiere rechtzeitig eintreffen, damit er seinen kranken Vater noch einmal besuchen kann. Und der Syrer Abdul Razzak Alabbuod ganz sicher nicht, der vor dem Krieg zuhause eine Firma besaß und während des Drehs verzweifelt versucht, Frau und Kinder aus Jordanien nachzuholen.

Es ist ein schwieriges Wiederanwurzeln, das Matthias Koßmehl erzählt. Sein Film beginnt mit einem Trachtenumzug, mit Schützenvereinsmeierei und Kruzifixen an Weggabelungen, mit wallenden Geranienmassen vor den Fenstern und Lederhosengeschäften im Bildhintergrund. Ein Stammtisch alter Recken - eine reine Männerrunde auch hier - beklagt abends beim Bier vor Bergkulisse das Ende des »Bayerstammtischs« in einer Wirtschaft namens Schießstube. Und dass die Leut‘ jetzt »gucken« sagen statt »schauen«, wie’s sich gut bayrisch gehört. Der Film aber diskriminiert nicht: Untertitelt werden ausnahmslos alle, die Syrer wie die Bayern, die ostdeutsche Köchin ebenso wie die einst aus Österreich gebürtige Wirtin.

Auch das Café Waldlust selbst hätte eine lange Geschichte von Ausgrenzung und Umsiedlung zu erzählen, schon bevor die Asylbewerber kamen. Der vorvorige Besitzer floh vor den Nazis nach Amerika, der Schwiegervater von Flora Kurz, der das Haus übernahm, war von Hitlers Bauplänen am Obersalzberg aus seinem dortigen Hotel vertrieben worden, und während des Zweiten Weltkriegs war das Haus Heim für die Kinderlandverschickung. Erst danach wurde es wieder Ausflugslokal - und wird jetzt eben zimmerweise an Asylbewerber vermietet. Ernsthaft seien sie, gläubig, ein wahrer Segen, sagt die Wirtin. In Leipzig wurde »Café Waldlust« mit dem DEFA-Förderpreis ausgezeichnet.

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