Hochmut, Anmut
Jürgen Hentsch wäre 80
Vorwiegend ans Schmerzhafte band er seine Anziehungskraft. Ein Schauspieler der leisen Töne, in sich gekehrt. Jürgen Hentsch offenbarte ohne jeden Hauch von Pathos menscheninnerste Kämpfe. Seit 1966 am Deutschen Theater Berlin, bis Mitte der achtziger Jahre. Er liebte die Schwierigen, wie er selbst ein Schwieriger war. Er verließ die DDR, spielte am Wiener Burgtheater, an den Münchner Kammerspielen, der Berliner Schaubühne und war nach dem Ende des Kleinstaates auch wieder Gast am Deutschen Theater. Mehr und mehr aber verschob sich das Gewicht seiner Arbeit zum Film, zum Fernsehen.
Seine männliche Anmut besaß Sensationswert. Er fragte nie die Rolle, ob er vorkomme in ihr; er fragte sich, ob er deren Anspruch genüge. Eine Stimme, darauf schwerer Samt - Eleganz und Lakonik des Ausdrucks kamen aus Hintergründen, nicht nur aus der Kehle. Es geschah, dass er noch im innigsten Zusammenspiel hermetisch wirkte; man meinte mitunter, einen faszinierenden Hochmut auf der Bühne zu spüren, der auch ohne Zuschauer auskommen und trotzdem bestechend Kunst bleiben würde. Wenn von legendären Aufführungen des DT die Rede ist - eine Arbeit wenigstens sei genannt: Siegfried Höchst und Horst Sagert inszenierten 1970 Lorcas »Dona Rosita bleibt ledig«, mit Hentsch, mit Christine Schorn, Inge Keller. Ein Verhängnismärchen. Eine Sphärenmusik in blutdunklen, herbstblättrigen Menschen-Bildern. Nicht helle Verheißung, sondern eine schwere Fantasie des Verlustempfindens. Hentsch in seinem Element: spielen für die bittere Wahrheit der Welt.
Den Grimme-Preis erhielt er für seinen Heinrich Mann in Breloers Film »Die Manns«. Er sprach im Interview über des Schriftstellers »Widerwillen gegen das Unwesentliche«. Da redete ein großer Schauspieler über einen anderen Künstler; er sprach über sich. Jürgen Hentsch, 1936 in Görlitz geboren, 2011 gestorben, wäre heute 80 Jahre.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.