Erst in den 1980er Jahren begann die Aufarbeitung

Die Mehrzahl der Dax-Unternehmen hat ihre »braune« Geschichte von Historikern untersuchen lassen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte der linke Historiker Karl Heinz Roth die OMGUS-Berichte. Damit begann die Aufarbeitung der Rolle der Konzerne während der NS-Zeit.

Deutsche Unternehmen waren tief verstrickt in den Nationalsozialismus: Vorstände und Eigentümer von Großkonzernen hatten Adolf Hitler schon vor seiner Wahl zum Reichskanzler unterstützt. Finanzierung der Kriegsvorbereitung, Entlassungen jüdischer Manager und kommunistischer Arbeiter, »Arisierung«, Ausbeutung der eroberten Gebiete, der massenhafte Einsatz von Zwangsarbeit in Osteuropa - solche Praktiken waren in der deutschen Wirtschaft bis 1945 üblich. Doch die Aufarbeitung solcher Verbrechen blieb nach dem Sieg über Hitler-Deutschland zunächst aus.

Nach dem Krieg hat die US-amerikanische Militäradministration die aktive Rolle führender Unternehmen wie Reemtsma, Deutsche Bank oder IG Farben - aus der Bayer und BASF hervorgingen - in ihren »OMGUS-Berichten« analysiert. Und teilweise empfohlen, sie zu »liquidieren«. Eine Umsetzung verhinderte dann der beginnende Kalte Krieg.

Veröffentlicht wurden die OMGUS-Berichte in der Bundesrepublik erst Mitte der 1980er Jahre, von Karl Heinz Roth. Der linke Historiker forschte für eine Nebenstelle des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS). Das HIS finanziert hatte Jan Philipp Reemtsma aus seinen Anteilen am familieneigenen Reemtsma-Konzern. Die OMGUS-Berichte lagen auch im DDR-Staatsarchiv. Auf eine umfassende Veröffentlichung wurde jedoch verzichtet - offenkundig, um die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Bundesrepublik nicht zu belasten.

Allerdings konnte der DDR-Historiker Eberhard Czichon etwa den 460 Seiten umfassenden Prachtband »Hundert Jahre Deutsche Bank«, den die wiedererstarkte Großbank 1970 herausgegeben hatte, mit Hilfe der Berichte scharf kritisieren. Die Hausgeschichte hatte Naziherrschaft und Krieg nur mit wenigen Sätzen gestreift. Diese »Verdrängung« der eigenen Verantwortung blieb noch lange typisch für den Umgang der Konzerne mit ihrer »braunen« Vergangenheit.

Erst 1995 bekannte sich die Deutsche Bank schuldig. Wenngleich US-Professor Harold James und seine Kollegen, die im Auftrag des Bankvorstandes forschten, sich in der hohen Kunst des historischen Relativierens übten. Auch damit blieb die Großbank - die längst nicht so radikal die Nazis stützte und von ihnen profitierte wie etwa die Dresdner Bank (heute Commerzbank) - beispielgebend für den Umgang der Konzerne mit dem Faschismus.

Denn Unternehmensgeschichte fristete in der Bundesrepublik lange ein Schattendasein. Seit den 1980er-Jahren allerdings kam es zu einem regelrechten Boom. Dabei wurden Konzerne oft von Publizisten und Wissenschaftlern, kritischen Aktionären und Gewerkschaftern, amerikanischen Interessengruppen und jüdischen Organisationen getrieben.

Inzwischen ist die Geschichte vieler großer Unternehmen in der Zeit des Nationalsozialismus von renommierten Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland bearbeitet worden. Das gilt für die führenden Banken genauso wie etwa für Allianz, Daimler-Benz oder VW. Von den 30 Dax-Konzernen haben nach Angaben der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. heute 16 eine seriöse Hausgeschichte veröffentlicht. Adidas und Merck sind dabei. Verschwiegen geben sich dagegen unter anderem die Deutsche Börse und zwei staatsnahe Unternehmen: Post und Telekom.

Inhaltlich scheint allerdings der Zenit überschritten. Der anlässlich der 125-Jahr-Feier von der Allianz ins Internet gestellte Zeitstrahl wirkt für die Nazizeit merkwürdig blass. Und die BASF, die als IG Farben Seite an Seite mit den Nationalsozialisten marschiert war, streifte ihre finstere Vergangenheit bei den Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag nur am Rande. Was zudem fehlt, ist eine neue Gesamtschau »der Wirtschaft« im Nationalsozialismus, die an den Arbeiten ansetzt, die Kurt Goßweiler, Christopher Kopper und viele andere geleistet haben.

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