Reformer ist ein westlicher Begriff

Vor der iranischen Wahl wird Präsident Ruhani für den Sparkurs kritisiert, er weckt aber auch Hoffnung

  • Oliver Eberhardt, Teheran
  • Lesedauer: 7 Min.
Vor den Wahlen in Iran sind viele Menschen verarmt, während die Regierung einen Sparkurs steuert. Deshalb steht auch Präsident Hassan Ruhani in der Kritik.

Die Träger im großen Basar von Teheran haben heute wenig zu tun. Gelangweilt sitzen die Männer in einer Ecke am Eingang des weitläufigen Einkaufsviertels. Ihr Job ist es, den Menschen die Einkäufe durch den Markt, zum Auto und sogar bis nach Hause zu tragen. »Früher hat man damit ganz ordentlich verdient«, sagt Hassan, ein Mann Mitte 30. »Gerade in Zeiten wie diesen haben wir von morgens bis abends geschuftet und hatten genug, um ein paar Wochen unsere Familien zu ernähren.« Denn in gut einem Monat wird Nourouz, das persische Neujahrsfest, gefeiert, und traditionell vorher einkauft, was die Brieftaschen hergeben.

Doch in den Basaren des Landes herrscht auch jetzt, in der Vorfeiertagszeit, Leere. Nur wenige Menschen ziehen an den Ständen und Läden vorbei. Öfter als noch vor einigen Monaten sind auch am Tage Rollläden herunter gelassen. »Die iranische Wirtschaftskrise ist wohl sonst nirgendwo so deutlich zu sehen wie in den Basaren«, sagt Mahmud Saqafi von der Verwaltung des Geschäftsviertels. Vor allem den Anbietern hochpreisiger Ware sei im Laufe der Zeit die Luft ausgegangen: »Viele Menschen haben einfach kein Geld für Schmuck und Elektronik; oft fehlt es selbst am Nötigsten.«

Mittlerweile leben Schätzungen iranischer Bürgerrechtler zufolge bis zu 40 Prozent der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze. Die Regierung selbst spricht allerdings von gerade einmal 13 Prozent. Der Grund dafür ist, dass man das Mindesteinkommen sehr niedrig ansetzt. »Wer nur das in der Tasche hat, was die Regierung als Armutsgrenze ansieht, muss hungern«, sagt ein Mitarbeiter einer Bürgerrechtsorganisation.

Namentlich nennen kann man weder ihn noch seinen Auftraggeber. Zwar können Journalisten und Bürgerrechtler seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Ruhani freier arbeiten, wird einiges getan, um die politischen Prozesse transparenter zu gestalten. Doch die neuen Freiheiten haben Grenzen. Nach wie vor werden auch heute noch Oppositionelle, Bürgerrechtler festgenommen, kritische Medien mit Veröffentlichungsverboten belegt. »Dass ich das Thema Existenzminimum offen gegenüber Ausländern anspreche, liegt daran, dass Ruhani es selbst immer wieder bei öffentlichen Auftritten tut. Das bietet einen gewissen Schutz«, sagt der Bürgerrechtler und fügt hinzu, man dürfe es aber keinesfalls übertreiben. Ruhanis Macht sei begrenzt und überdies: »Er mag ein Reformer sein, aber er ist kein Linker. Bis vor wenigen Jahren war er weitgehend unbekannt, und wir wissen bis heute nicht, was er tut, wenn er in die Ecke getrieben wird.«

Ruhani steht mit dem Rücken zur Wand. Das wird sehr schnell klar, wenn man einige Minuten durch den Basar geschlendert ist, sich mit Geschäftsleuten und Kunden unterhält. Es sind ausgerechnet die Erfolge, die sich Ruhani als ein Wirtschaftsliberaler kurz vor der Wahl von Parlament und Expertenrat auf die Fahnen schreibt und die ihm zum Nachteil ausgelegt werden. Bei seinem Amtsantritt im August 2013 lag die jährliche Teuerungsrate bei 34,7 Prozentpunkten. Innerhalb kürzester Zeit habe man es geschafft, die Inflation auf heute 13 Prozentpunkte zu drücken, sagt ein Sprecher Ruhanis: »Und das ohne Rettungsschirme.« Gleichzeitig verzeichne der Iran nun regelmäßig zwischen zwei bis drei Prozent an Wirtschaftswachstum im Jahr und verfüge über einen ausgeglichenen Staatshaushalt.

Aus Sicht der Bevölkerung sieht die Sache allerdings so aus: »Mit der Inflation sind auch die Einkommen gefallen«, sagt einer der Händler. Gleichzeitig habe die Regierung die Preisbindung für eine Reihe von Nahrungsmitteln aufgehoben, die von Ruhanis Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad ausgeweitet worden war. Eine Vielzahl von Sozialleistungen wurde zudem entweder ganz gestrichen oder massiv gesenkt.

Das Ergebnis ist, dass nun der Einzelhandel in eine tiefe Krise geraten ist. Sie ist so tief, dass die Minister für Wirtschaft, für Arbeit, für Verteidigung und für Industrie im vergangenen Monat einen offenen Brief an Ruhani schrieben: Dem Land drohe eine existenzbedrohende Wirtschaftskrise. Ruhani antwortete ebenso öffentlich: Schuld seien die Sanktionen; die Bevölkerung müsse Geduld haben. Und tatsächlich: Während die Menschen Ruhani vielfach für seine Austeritätspolitik kritisieren, setzen sie gleichzeitig große Hoffnungen in ihn.

In einem Café im Stadtzentrum von Teheran ist man als Ausländer schnell vor allem von jungen Iranern umringt. Sie schwärmen von den Sehenswürdigkeiten überall im Land und erzählen, wohin sie bald reisen wollen: Nach London, nach Berlin, nach New York.

Außerhalb prangt an einer Hauswand eine Malerei, die den »großen Satan« anprangert. Bei Demonstrationen und auch nach den Freitagsgebeten sind auch heute und damit nach dem Atomdeal immer noch »Tod für Amerika!«-Rufe zu hören.

Es sind krasse Gegensätze. Genau wie der Iran ein Land der Gegensätze ist. Da ist eine Amerika- und Israelfeindlichkeit, wie sie Jahrzehnte lang faktisch Staatsdoktrin war. Hier ist die Jugend, trinkt Tee und Kaffee, kommt frisch von der Uni und träumt von Jobs bei Google, Facebook, und Selfies vor der Freiheitsstatue.

Ob schon mal jemand bei einer Anti-Amerika-Demo gewesen sei? Die Gäste des Cafés schweigen. Der Wirt sagt, man solle mal die Straße runter gehen, da sei ein Lokal für Leute, die damals bei der Revolution dabei waren. Doch auch dort, wo die beiden Ayatollahs Ruhollah Chomeini und Ali Chamenei die Gäste im strengen Blick haben, hat man es nicht so mit derartigen Demonstrationen: »Dazu sind wir zu alt«, sagt ein Mann um die 70 und lacht. Er lässt keinen Zweifel daran, was er von den USA hält. Frankreich, Italien, sagt er, seien immer gute Freunde gewesen. Aber die USA hätten alles getan, um den Iran zu zerstören.

Was er vom Atomabkommen, einer möglichen Öffnung gegenüber dem Westen hält? »Wir müssen aufpassen, dass es keinen Ausverkauf unserer Rechte und unserer Werte gibt.« Ein solcher Ausverkauf wäre für ihn gleichbedeutend mit Chaos: »Die USA wollen das System zerstören, wollen uns ihre Lebensweise aufzwingen.« Eine Lebensweise, die aus seiner Sicht aus ständigen Kriegen, Amokläufen an Schulen und sich ständig betrinkenden Jugendlichen besteht.

Jahrelang hatten die iranischen Medien ein Bild des Westens gezeichnet, das von Chaos, Zerstörung und Drogen aller Art geprägt ist. Dies war so von oben vorgegeben. Die Medien des Landes stehen unter der strengen Aufsicht des Informationsministeriums. Seit Ruhanis Amtsantritt, seit sich eine Einigung über das Nuklearprogramm abzeichnete ist die Berichterstattung nicht neutral, aber weniger geworden. Auch der Zugang zum Internet ist etwas freier geworden. Mehr ausländische Seiten als früher können nun ohne Umwege erreicht werden. Allerdings waren die iranischen Jugendlichen im Laufe der Zeit auch zu Meistern darin geworden, diese Umwege zu finden.

Nach dem Abkommen und nach dem Ende der Sanktionen bemüht sich die Regierung, im Ausland ein moderates Bild des Landes zu zeichnen. Über Mahmud Ahmadinedschad, der sich gerne mit Verschwörungstheoretikern und Holocaust-Leugnern zeigte, will man sich in diesen Tagen in der Politik lieber nicht äußern, und auch was die Menschenrechte betrifft, ist man zurückhaltender geworden.

Was keinesfalls bedeute, dass man die Todesstrafe nun seltener verhänge oder vollstrecke, sagen Menschenrechtsorganisationen. Doch statt am Ort, an dem die Tat begangen wurde, wie es der entsprechende Paragraf des Strafrechts vorsieht, wird in letzter Zeit bevorzugt in den Gefängnissen und damit hinter verschlossenen Türen gehängt.

Auch im Land selbst werden die öffentlichen Urteilsvollstreckungen in letzter Zeit zunehmend offen kritisiert. Dabei scheint die Zustimmung zur Todesstrafe, auch zu Vorwürfen wie Homosexualität, nach wie vor hoch zu sein. Wirklich sprechen will darüber aber niemand.

»So sind eben die Gesetze«, sagt der 21-jährige Ali im Café. »Ich wünsche mir mehr Freiheit, aber auch, dass wir ein stabiles Land bleiben.« Ob er am Freitag wählen wird? »Ja sicher, es ist meine Bürgerpflicht.« Die Umstehenden nicken. Viele hier haben nach dem Studium keinen richtigen Job gefunden, schlagen sich mit diesem und jenem durch. Ja, wählen werden sie. Wen sie wählen werden? Es bricht schallendes Gelächter aus. »Wir haben mehr als 4000 Kandidaten«, sagt Ali. »Es gibt keine Parteien, bei denen man sagen könnte, wofür sie stehen. Ich persönlich kann mir nur unter wenigen Namen etwas vorstellen.« Reformer? Konservative? »Das sind westliche Begriffe«, sagt der 23-jährige Hassan, der Politik studiert hat: »Im Westen denkt man, Reformer sind unbedingt links von den Konservativen. Aber es gibt auch viele Reformer, denen die Konservativen nicht konservativ genug sind, und die die Zeiten Chomeinis zurück bringen möchten.«

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