Kein Pardon

Generation 14plus

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 2 Min.

Dass das Leben keine Idylle ist in den Jugendfilmen der Berlinale, ist Programm. Schließlich sollen die Filme neue Perspektiven eröffnen, Blicke in andere Lebenswirklichkeiten erlauben. Zwei Dokumentarfilme aber haben es in diesem Jahr besonders in sich. »Royahaye Dame Sobh« (Träume ohne Sterne) von Mehrdad Oskouei wurde in einem Straf- und Umerziehungslager für junge Mädchen in Iran gedreht. Und »Life on the Border« ist komplett aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen gefilmt, die in Kobane oder Sindschar lebten, bis der IS ihre Heimatstädte zerstörte. Nun warten sie in UN-Flüchtlingslagern drauf, dass irgendwas in ihrem Leben wieder gut wird.

Die Infrastruktur für das filmische Experiment stellte der kurdisch-irakische Filmemacher Bahman Ghobadi zur Verfügung. Acht Kameras ließ er an Kinder im Lager verteilen, um Filmteams zu bilden. Dazu gab es eine Einführung durch kurdische Kameraleute. Das Ergebnis ist formal nicht perfekt, aber inhaltlich könnte es kaum erschreckender sein.

Es sind Geschichten von Verlust: der Heimat, der Eltern, der Gliedmaßen, der Unschuld. Geschichten vom Warten und Wasserschleppen, von der verzweifelten Suche nach Medikamenten, nach einer Brille, nach Linderung. Von verstummtem Gesang, verschleppten Schwestern und verbrannten Gesichtern. Der Film bot den Kindern eine Chance für einen Appell an die Welt. Und auf der praktischen Ebene ein Ziel, eine gemeinsame Beschäftigung, eine Aufgabe. Denn zur Schule geht hier schon lange niemand mehr.

Die Mädchen in »Royahaye Dame Sobh« tollen zu Beginn im Schnee herum wie Kinder. Lauter misshandelte Töchter, missbrauche Nichten, blutjunge Mütter, Zwangsprostituierte und Beschaffungskriminelle, von deren Schals und Schleiern das Tauwasser tropft. Ihr kollektives Unglück ist so groß, da hilft nur noch das Lachen. Ein Galgenhumor, der erst in Tränen kippt, als Regisseur Mehrdad Oskouei seine sechzehnjährige Tochter erwähnt. Sie wächst behütet und geliebt auf, so eines der Mädchen - »nicht wie wir, die wir im Dreck leben mussten«.

Die Gesellschaft der Regierung Ahmadinedschad ist eine harsche für junge Frauen. Meist sind sie selbst nur Opfer der Verhältnisse, und die sind ohne Aussicht auf Besserung. Eine Entlassung ist deshalb kein Grund zur Freude, sondern Anlass zur Sorge. Die Anstaltsleiterin bleibt hart: Das sei dann nicht mehr ihr Problem, wenn wieder nichts als häusliche Gewalt auf die Mädchen warte. Eine Zeit lang sind sie aufgehoben hier, wenn draußen auch die Wachen patrouillieren. Am Ende aber gibt es kein Pardon.

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