Urin, Erbrochenes und Fäkalien
Anwohnerinitiative beschwert sich massiv über Friedrichshainer Partymeilen
Gönnen Sie Touristen und Besuchern aus Berlin und dem Umland nicht ein bisschen Spaß?
Es gibt nur noch wenige Cafés, Kneipen und Läden in Friedrichshain, in denen ich als Anwohnerin mich wohl fühle. Die meisten Betriebe sind einfach rein touristisch. Außerdem geht es ja nicht nur um den Lärm. Es ist zum Beispiel auch die Vermüllung. Bezahlen dürfen wir die Reinigung über die Umlage auf unsere Mieten auch noch selber. Und die Verwahrlosung. Da wird in Hauseingänge uriniert, gekotzt und auch geschissen.
»Die Anrainer« sind die dritte Bürgerinitiative seit den 1990er Jahren in Friedrichshain, die die Belastungen durch das Nachtleben thematisiert. Konnten Ihre Vorgänger nichts erreichen?
Es wurde damals ein Kompromiss erarbeitet, nach dem am Boxhagener Platz, in der Simon-Dach- und Sonntagstraße wochentags um 23 Uhr und am Wochenende um Mitternacht die Schankvorgärten geschlossen werden sollen. Man kann sagen, dass der nie eingehalten wurde. Es sind immer mehr Gastronomiebetriebe dazugekommen, und auf dem RAW-Gelände hat sich eine Clubmeile etabliert. Wo man früher noch mit dem Wirt reden konnte, stößt man heute sehr häufig auf taube Ohren.
Simon-Dach-Straße, RAW-Gelände oder Boxhagener Platz – touristische Anziehungspunkte, aber auch Nachbarschaft. Seit 1999 thematisieren Anwohner, was sie dort stört. Geändert hat sich wenig, außer dass Jahr für Jahr mehr Partytouristen kommen. Mit Karola Vogel von der Bürgerinitiative »Die Anrainer« sprach für »nd« Nicolas Šustr.
Und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg?
Wir Anwohner werden häufig mit Aussagen in der Art abgefertigt, dass diese Entwicklung nicht absehbar gewesen sei. Jetzt kündigt der fürs Ordnungsamt zuständige Stadtrat Peter Beckers (SPD) an, dass die Mitarbeiter künftig auch nach 22 Uhr arbeiten können sollen. Das wurde schon vor über zehn Jahren angekündigt, passiert ist nichts. Wir sollen bei späten Lärmbeschwerden die Polizei rufen. Da haben aber viele Hemmungen, schließlich soll die Polizei sich um ernsthafte Verbrechen kümmern.
Der Drogenhandel an der Revaler Straße ist seit einer Weile stadtweites Thema. Betrifft Sie das auch?
Es scheint so zu sein, dass die heutige Partykultur ohne Drogenkonsum gar nicht mehr denkbar ist. Leider werden neben anderem auch viele Amphetamine konsumiert, die die Leute aggressiv machen. Der offensive Handel macht gerade jenen Anwohnern Angst, die pubertierende Kinder haben. Die Dealer bieten auch Zwölf- oder 14-Jährigen Drogen an. Zumal nicht nur weiche Drogen gehandelt werden. Die Polizeimaßnahmen haben dazu geführt, dass sich als Ausweichverhalten der Handel bis zum Boxhagener Platz zieht.
Es wird zurzeit zudem viel über Taschendiebstähle berichtet.
Es ist nun mal so, dass die Räuber – es sind auch viele Überfälle dabei – nicht zwischen Einheimischen und Touristen unterscheiden. Gleich um die Ecke von der Revaler Straße wohnt eine ältere, gehbehinderte Dame, die hat immer viel Besuch von Freundinnen aus anderen Bezirken bekommen. Die kommen nicht mehr zum Kaffeekränzchen, die fühlen sich in ihrem Alter mit ihren Handtaschen als zu leichte Opfer. Wirklich überrascht haben mich die neuen Kriminalitätszahlen nicht. Sie bestätigen nur Erfahrungen der Nachbarn.
Nun hat ja vor zwei Wochen das Bezirksparlament einen »Runden Tisch Nachtleben« beschlossen. Was halten Sie davon?
Wir wollen mit allen reden. Aber es muss einen neutralen Organisator geben. Nach den Bezirksplänen soll Olaf Möller von der Clubcommission das übernehmen. Damit macht man den Bock zum Gärtner. Es ist schließlich ein Interessenverband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisbetreiber. Wir hatten mit Möller schon die Erfahrung, dass unsere Positionen zum RAW-Gelände weder vollständig noch inhaltlich richtig zusammengefasst wurden. Wir als Anwohner müssen die Sicherheit haben, dass unser Forderungskatalog in Gänze angehört wird.
Der Sprecherin Ihrer Vorvorgängerinitiative wurde 2003 das Auto angezündet. Viele vermuteten damals einen Auftraggeber aus der Gastronomie, der sich um Umsätze sorgte. Haben Sie Angst, dass Ihnen auch so etwas passiert?
Ein bei uns engagierter Nachbar ist letzten Sommer krankenhausreif geprügelt worden. Es ist kein Zusammenhang erwiesen. Allerdings wurden ihm bereits zweimal sämtliche Autoreifen zerstochen. Da macht man sich schon Gedanken.
Es wird ja in vielen Bezirken eine Ballermannisierung beklagt. Haben Sie Kontakte zu anderen Initiativen?
Wir sind gerade dabei, uns landesweit zu vernetzen. Wir sehen ganz klar neben dem Bezirk auch den Senat in der Verpflichtung. Wir hoffen, das in den Wahlkampf zu kriegen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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